piwik no script img

Menschen machen Fehler

Schachweltmeister Kramnik begünstigt das Computerprogramm Deep Fritz mit einem schweren Lapsus. Die Fachwelt ist entsetzt, der Champion liegt gegenüber der Supermaschine zurück

von HARTMUT METZ

Im Gefühl des nahen Sieges ist Wladimir Kramnik vom Schachbrett aufgestanden, drehte sich nochmals um und fasste sich mit der Hand an den Kopf. Mit starrem Blick erkannte der Weltmeister: In einem Zug würde ihn Deep Fritz mattsetzen. Das Programm brauchte keine Millisekunde, um die entscheidende Fortsetzung auszuspucken. Als Computerbediener Mathias Feist die weiße Dame dem schwarzen König direkt vor die Nase gestellt hatte, gratulierte Kramnik und lief kopfschüttelnd von der Bühne.

Nach zwei Partien in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle führt Deep Fritz mit 1,5:0,5. Um seine Antrittsgage von 500.000 Dollar in dem Match „Mensch gegen Maschine“ auf 1 Million Dollar zu verdoppeln, muss Kramnik die Software aus Hamburg in sechs Partien mit mindestens 3,5 Punkten schlagen. Dass das noch immer möglich ist, unterstrich der Weltmeister wenige Minuten nach der Tragödie in einem Akt. Relativ gefasst analysierte er das Drama. „So ein Patzer ist mir noch nie passiert!“, sagte der 31-Jährige mit Blick auf den 35. Zug. Großmeister Helmut Pfleger, der seit Jahrzehnten für das Fernsehen von Weltmeisterschaften und Topturnieren berichtet, konnte sich an keinen ähnlichen Bock auf diesem Niveau erinnern. „So etwas habe ich noch nie gesehen, nein, so was nicht“, wiederholte sich der Münchner und fand den stümperhaften Fehler „unglaublich und erschütternd“.

Viele der Millionen Fans im Internet werden zunächst an einen Übertragungsfehler geglaubt haben. Der Verteidiger der menschlichen Ehre in Bonn hatte schließlich dem Programm in den ersten 30 Zügen „eine Lehrstunde erteilt“, wie der mehr als hundertfache Nationalspieler Pfleger und Frederic Friedel von Fritz-Vertreiber Chessbase unisono meinten. Selbst die Mitglieder aus dem Team der Hamburger Softwarefirma bekundeten ihr Mitleid. „Kramnik hatte bis dahin enorm stark gespielt und ist sehr gut auf uns vorbereitet“, sagte Deep-Fritz-Bediener Feist. „Nach dieser fantastischen Leistung hätte er nur noch die Früchte ernten müssen“, pflichtete Pfleger bei und hatte nur eine Erklärung für den Aussetzer: „Kramnik war sich zu sicher, dass er gewinnt.“ Mit den schwarzen Steinen, kündigten Experten an, überrenne das Rechenmonster, das bis zu zehn Millionen Stellungen pro Sekunde berechnet, seinen Gegner. Doch der Vorteil des ersten Zugs verpuffte. Durch das Publikum ging zwar ein Raunen, als Deep Fritz einen vermeintlich aggressiven Damenzug in Richtung des schwarzen Königs machte, doch Kramnik brachte die Partie rasch unter Kontrolle. Schon im ersten Duell hatte der Mensch das Geschehen mit einer kontrollierten Offensive bestimmt. Geschickt sammelte der Russe kleine Vorteile, nur den möglichen K.-o.-Schlag verpasste er auch schon da.

Der Weltmeister berichtete, er habe in der Schlussphase die Varianten nach jedem Zug aufs Neue geprüft. „Ich konnte das Remis forcieren, sah aber keinen Grund, ein Unentschieden anzustreben“, analysierte der Russe. Deep Fritz sah seinen Gegner mit bis zu 0,7 Bauerneinheiten im Plus. Das ist ein deutlicher Vorteil, den die Profis oft gegen ihre menschlichen Kontrahenten verwerten. „Ich stand noch nicht ganz auf Gewinn, hatte aber gute Chancen“, begründete Kramnik, warum er das zweite Remis in dem Wettkampf verschmähte. Doch ab dem 33. Zug geriet er vom Erfolgspfad ab. Danach hätte die Partie mit einem Dauerschach von Weiß enden sollen.

Dass er vor dem heutigen dritten Duell (15 Uhr) mit 0,5:1,5 zurückliegt, anstatt womöglich sogar mit 2:0 zu führen, entmutigt Kramnik kaum. „Ich finde nicht, dass ich schlechter bin“, äußerte der Schachweltmeister trotzig, „ich drückte in der ersten Partie und überspielte Fritz. Deshalb gehe ich sehr zuversichtlich in die nächsten vier Begegnungen.“ Helmut Pfleger ist bange, obwohl Kramnik Deep Fritz selbst auf „dessen ureigenstem Terrain, der Taktik, vorführte“. Der Mediziner gibt nach dem Patzer zu bedenken: „Grobe Fehler macht nur der Mensch!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen