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„Das System stammt aus dem Mittelater“

Für den Theologen Eberhard Hauschildt sollte die Kirche nur noch in den Großstädten ihr Angebot halten

taz: Herr Hauschildt, in NRW müssen Kirchen schließen und Gemeinden bei ihrem sozialen Angebot kürzen. Liegt das nur am Geld?

Eberhard Hauschildt: Es geht um den Abschied von einer ohnehin veralteten Struktur – dem System mit zahlreichen Gemeinden in Dorfkirchengröße. Das stammt noch aus dem Mittelalter, als das schnellste Fortbewegungsmittel das Pferd war. Die kleinräumige Struktur ist besonders teuer. Sie passt nicht mehr für die Menschen, die viel mobiler geworden sind als früher.

Wie sollten die Gemeinden damit umgehen?

Statt zum Beispiel in jeder Gemeinde Jugendgottesdienste zu versuchen, sollte es das Angebot an einer Stelle, wirklich gut gemacht, für die ganze Stadt geben. Jugendliche sind doch heute ohnehin viel beweglicher als früher. Auch braucht nicht jede Gemeinde ein eigenes Weihnachtsoratorium. Viele Angebote lassen sich bündeln.

Haben das die Bistümer und Landeskirchen begriffen?

Innerhalb der Kirchen ist erst noch ein Mentalitätswandel notwendig. Die Gemeinden müssen von ihrem Kirchturmdenken wegkommen, bei dem die Arbeit der Nachbargemeinde als Konkurrenz wahrgenommen wird. Arbeitsschwerpunkte von Gemeinden sollten in Zukunft auf der Ebene der Region ausgehandelt werden. Wir brauchen dazu eine Stärkung dieser mittleren Ebene der Kirchenkreise.

Die Kirchenverbände sehen das anscheinend anders. Das Bistum Essen will bis 2008 die Gemeindeverbände auflösen.

Ich bin auch skeptisch, ob die Gemeinden die Vorschläge umsetzen. Doch wenn sie das nicht tun, dann werden in einigen Jahren nur noch große Gemeinden überleben in wohlhabenden Gebieten. Die Verbürgerlichung der Kirche würde zunehmen, die Gemeinden würden nur noch für ihre spezielle Zielgruppe wirtschaften. Die anderen Mitglieder aber entfremden sich. Die Zahl der Kirchenaustritte könnte dadurch zunehmen.

Manche Gemeinden nutzen Methoden wie Fundraising, um neues Geld heranzuschaffen. Ist die Kirche in der heutigen Zeit angekommen?

Nur teilweise. Es gibt erste gute Ansätze. Aber bei uns ist immer noch die Vorstellung tief verwurzelt, Kirche sei einfach automatisch da. Wie wichtig kirchliches Fundraising werden kann, sehen wir in den USA. Und wenn dort trotzdem mal eine Kirche abgerissen wird, gibt es auch viel weniger Aufregung als in Deutschland.

INTERVIEW: M. SCHRÖDER

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