GERGELY MÁRTON ÜBER DIE GEFÄHRDETE DEMOKRATIE IN UNGARN: Worüber sich die Welt empört
Als ungarischer Medienarbeiter freue ich mich natürlich darüber, dass die internationale Presse das neue ungarische Mediengesetz so verrissen hat, dass sogar die deutsche Bundeskanzlerin sich zu Wort meldete. Denn die 170 Seiten Paragrafen haben kein anderes Ziel, als die Presse in Ungarn einzuschüchtern und auf Linie zu bringen. Die Chefin der neuen Budapester Medienbehörde bleibt dank einer Verfassungsänderung neun Jahre lang unabwählbar. Genau das möchte die Regierungspartei mindestens so lang auch für sich erreichen, auch wenn spätestens 2014 die Bürger zur Wahl gebeten werden. Damit die Fidesz-Partei von der Stimmabgabe keine unangenehme Überraschung befürchten muss, schafft sie die Pressefreiheit ab. Zweimal schon hat die rechtskonservativ genannte Partei mit dem Premier Viktor Orbán bei Wahlen verloren, die Schuld daran gibt sie allein den Medien.
Ich bin dankbar dafür, dass Medienschaffende in Deutschland und in ganz Europa für meine Freiheit kämpfen. Aber ich hadere gerade in diesem Moment auch mit meinem Beruf. Denn die Demokratie in Ungarn ist nicht erst seit gestern in Gefahr. Orbán und seine Partei Fidesz regieren Ungarn seit April dieses Jahres. In dieser Zeit haben sie einfach mal die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts beschränkt, weil das Gericht es wagte, eines ihrer Gesetze zu annullieren. Damit wurde, von der Welt kaum zur Kenntnis genommen, der Rechtsstaat in Ungarn abgeschafft.
Als junger Arbeitnehmer wurde ich vor Jahren verpflichtet, einer privaten Rentenkasse beizutreten. Meine Rente sollte einst zu 25 Prozent aus diesem Topf bezahlt werden. Seit zehn Jahren wächst auf meinem Konto das Geld, das der Staat von meinen Beiträgen der privaten Kasse monatlich überweist. Dann beschloss die Regierung Orbán, diese Kasse zu verstaatlichen. Offiziell lässt sie mich entscheiden, ob ich bei der privaten Kasse bleiben will oder ob ich meine Rente doch ganz der staatlichen Fürsorge und damit das bisher zusammengesparte Geld dem Fiskus anvertraue. Kleiner Haken: Sollte ich mich für den Verbleib entscheiden, so werde ich als Rentner keinen Cent vom Staat kassieren, 75 Prozent meines Altengeldes wäre dahin. Die Europäische Union intervenierte nicht, und so muss ich, um meine Rente halbwegs zu sichern, mein bisher zwangserspartes Geld dem Staat schenken. Und was macht die Regierung mit all dem geklauten Geld? Sie lässt einen einheitlichen Steuersatz festsetzen, der die Bestverdienenden begünstigt.
Ich weiß: Diese Themen sind schwer vermittelbar. Der Redakteur versteht, wenn giftiger Schlamm Dörfer vernichtet; wenn er liest, in Ungarn können ab 1. Januar 2011 Redaktionsräume nach vage formulierten Vorschriften durchsucht werden. Und die ungarischen Journalisten lassen auch bei diesem Thema nicht vom politischen Grabenkampf ab. Der Regierung nahestehende private Medien verlieren fast kein Wort über Merkels Rüge oder entschärfen sie bis zur Unkenntlichkeit. Die polnische Gazeta Wyborcza, eine Institution für alle jungen Demokratien, druckt eine Solidaritätsbekundung in ungarischer Sprache auf ihrer Titelseite, und die halbe Presse in Budapest spielt vor, davon nichts mitbekommen zu haben. Und da sind noch die öffentlich-rechtlichen ungarischen Medien: 3.000 Mitarbeiter haben sie, und nur zwei davon ließen ihren Frust durchblicken. Eine Schweigeminute legten sie in ihrer Radiosendung ein. Die heißt „180 Minuten“, nach dieser einen Minute machten sie ihre Sendung wie vorgeschrieben 179 Minuten lang weiter. Das sind unsere Helden.
Ich fürchte um die Medien, um die Freiheit in Ungarn. Aber ich will mir nicht vorstellen, was alles für die Regierung vielleicht unmöglich geworden wäre, wenn die ausländischen Medien schon beim Thema Verfassungsgericht oder private Rentenkassen so ein Höllenfeuer gemacht hätten.
Und ich möchte mir auch nicht vorstellen, wie viel die ungarischen Medien vereint gegen dieses Unheil hätten ausrichten können, wenn einige Zeitungen und Sender die Menschen nicht nach Geschmack oder auf Befehl von Fidesz bis heute dreist belügen würden. Und wenn die anderen Zeitschriften und Kanäle ihren moralischen Anspruch nicht schon vor Jahren unter der desaströsen sozialistischen Regierung verloren hätten.
■ Gergely Márton, 34, ist Journalist in Budapest
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