Vergleichen macht Spaß

WIEDERBEGEGNUNG MIT EINEM ALTEN MEISTER Die Ausstellung „Hommage an Caravaggio: 1610/2010“ in der Gemäldegalerie zeigt Originale des berühmten italienischen Barockmalers, der vor 400 Jahren starb. Werke seiner Zeitgenossen runden die Schau ab

Für einen Moment bin ich noch allein mit den Amorjungen. Die ungewohnte Stille der verschneiten Stadt setzt sich fort in den hohen Räumen der Gemäldegalerie kurz nach Öffnung am Vormittag. Als ob man durch eine Schleuse in eine andere Zeit eingetreten wäre, sehen die Bilder von Caravaggio und seinen Zeitgenossen mich an wie Menschen von hier und heute. Bis andere Besucher, italienisch und japanisch murmelnd, näher kommen und der Raum des Museums wieder öffentlich ist. Und vor dem „Amor als Sieger“ von Caravaggio sogar ein kleines Gedränge entsteht.

Neben diesem Star der Ausstellung „Hommage an Caravaggio“ hängt „Der himmlische Amor besiegt den irdischen Amor“ von Giovanni Baglione, einem Nachahmer, Konkurrenten und auch Gegner des bekannten Barockkünstlers. Zwei Knaben sieht man dort miteinander balgen, zwei mal zartes, verführerisch junges Fleisch. Der Größere der beiden Jungen darf eine Rüstung tragen, seine Siegerpose ist die desjenigen, der sich schon Mann geworden fühlt und berechtigt, über andere zu herrschen. Der Kleinere, der, den ungeschützten Körper ihm zugewandt, am Boden liegt, hofft womöglich, mit dieser Haltung der Ergebenheit wenn nicht das Spiel, so wenigstens die Zuneigung des anderen zu gewinnen. Es ist ein glaubhaftes Spiel, eines, das heute wieder stattfinden kann. Und in dieser Glaubhaftigkeit ist Giovanni Baglione seinem Konkurrenten tatsächlich ebenbürtig.

Andere Maler dagegen, die in der Ausstellung zum 400. Todestag von Caravaggio dessen prägenden Einfluss auf Zeitgenossen beweisen sollen, die Orientierung an seiner Dramatik, der Lichtführung, der Anziehungskraft seiner Figuren, enttäuschen eher im Vergleich. Wie Francesco Boneris, der lange nur unter dem Namen Cecco del Caravaggio bekannt war: Seine „Austreibung der Wechsler aus dem Tempel“ ist eine höchst dramatische Szene, fürwahr, Jesus schwingt etwas Peitschenähnliches gegen die Schar seiner verängstigt aufschreienden Gegner, und doch wirkt dies nur wie schlechtes Theater. Oder ein „Heiliger Sebastian“ von Bartolomo Manfredi: Glatt und kalt bleibt bei ihm die Oberfläche des Körpers, der damit unsere Empathie längst nicht in dem Ausmaß erreicht wie jener Jesus, der in Caravaggios „Der Ungläubige Thomas“ die Hand des Zweifelnden fest am Gelenk packt, um dessen zitternden Finger in seine Wunde zu führen.

Naives Schauen

Seit mindestens 20 Jahren sind viele Ausstellungen, die Caravaggio im Namen führen, so gebaut: einige Werke von ihm und Zeitgenossen, die ihm in einigen Aspekten nahestehen. Doch trotz der geringen Zahl der Caravaggio-Originale macht das Vergleichen Spaß. Die Stimmung der Konspiration bei Kerzenlicht zu verfolgen, in die der Utrechter Maler Hendrick ter Brugghens die Szene „Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht“ getaucht hat – die Unsicherheit und das schlechte Gewissen der Figuren sind fühlbar, auch ohne die Bedeutung der Geschichte zu kennen. Auch in Rembrandt van Rijns „Das Gleichnis vom reichen Kornbauern“ transportiert sich der emotionale Kern der Geschichte, sieht man ihn Geld zählend in seiner Höhle aus Papieren und Verträgen sitzend, von einer Kerze beleuchtet, heimlich den Reichtum auskostend.

Natürlich sind solche Beurteilungen nicht gerade kunsthistorisch begründet. Aber trotzdem braucht man das, die alten Gemälde wie Film und Theater anzuschauen, um in Kontakt mit ihren Figuren und den verhandelten Konflikten zu treten. Die Kunstgeschichte hat vorgearbeitet, sie hat die Auswahl bereitgestellt, die solchermaßen naives Konsumieren erst möglich macht, und sie ist für weiterführende Fragen zuständig. Aber erst, wenn man sich davon auch emanzipieren kann, geht ihre Saat auf. KATRIN BETTINA MÜLLER

■ „Hommage an Caravaggio: 1610/2010“. Gemäldegalerie Berlin. Bis 6. März 2011, Di. u. Mi. 10–18 Uhr, Do. 10–22 Uhr, Fr.–So. 10–18 Uhr