LESERINNENZENTRUM :
Negativ
■ betr.: „Frauen studieren gerne solo“, taz vom 27. 12. 10
„Frauenstudiengänge sind zulässig“, meint Alexander Noehring vom Gender-Kompetenz-Zentrum: „Eine positive Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist möglich, sonst stünden die meisten Frauenförderungsmaßnahmen auf wackligen Beinen.“ Was ist das denn? Was für die eine Seite positive Diskriminierung ist, ist für die andere immer negative. Oder würde irgendwer ernsthaft widersprechen, wenn ich behaupte, dass sämtliche der Trilliarden Frauenverbände in Deutschland auf die Barrikaden gehen würden, wenn ein Germanistik-Studiengang nur für Männer eingeführt würde? tageslicht, taz.de
Lernstörung
■ betr.: „Frauen studieren gerne solo“, taz vom 27. 12. 10
Es geht nicht darum, dass diese Frauen nicht mit Männern klar kommen. Es geht darum, dass Männer beim Lernen stören. Wenn man das Fachgebiet störungsfrei anständig gelernt hat, misst man sich anschließend auch locker mit männlichen Kollegen. Diesen Beim-Lernen-stören-Effekt gibt es keineswegs nur bei Männern und Informatik. Den gibt es in allen Zusammenhängen, wo Leute von vornherein als zuständiger betrachtet werden als andere. Die werden dann in diese Rolle gedrängt und die anderen kommen nicht zum Zuge. Den umgekehrten Effekt in „Frauenfächern“ gibt es genauso. Steffi, taz.de
Mal keine sexistischen Sprüche
■ betr.: „Frauen studieren gerne solo“, taz vom 27. 12. 10
Frauen würden also vor dem Einschalten des Computers Anleitungen lesen und Fragen stellen und sich dabei dumm vorkommen. Männer hätten genauso wenig Ahnung, würden aber „einfach mal probieren“. So ein Blödsinn. Einziger Vorteil, den ich mir durch diese „regressive Erneuerung“ vorstellen kann: mal keine schwachsinnigen sexistischen Sprüche hinnehmen zu müssen. Unvergessen bleibt mir der Ausspruch eines wissenschaftlichen Mitarbeiters, als ich in Ermangelung einer Sitzmöglichkeit vor einem Computer kurzfristig hocken musste: „Das ich das noch erleben darf: Eine Frau kniet vor der Technik.“ Den anwesenden Prof hat’s gefreut. Ich hätte kotzen können … Stacheln&Dornen, taz.de
König Geißler hat gesprochen
■ betr.: „Heiner Geißler“, Interview, taz vom 28. 12. 10
Der Heiner Geißler redet ja (glücklicherweise) immer wieder von mehr demokratischer Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen. Als es dann aber in Stuttgart wirklich ernst wurde, fiel er in vordemokratische, feudalistische Formen zurück. Zu Beginn der „Schlichtung“ kündigte er ja an, keinen Schlichterspruch äußern zu wollen. Wohl wissend um die politische Signalwirkung eines „Spruches“ von König Geißler tat er es dann dennoch. Warum haben Sie ihn nicht nach seinen Motiven für den Sinneswandel gefragt? Deutlich ist wohl geworden, dass er damit die CDU in Bund und Baden-Württemberg vor einem erheblichen Problem bewahrt hat. Wirklich sachlich begründet ist sein „Spruch“ nicht. Trotz seiner S 21-Plus-Kosmetik. Das betroffene Volk hätte sprechen sollen, nicht König Geißler! KARLHEINZ JAHRAUS, Westheim
Der Bauer ist als nächstes dran
■ betr.: „Schädlicher Verdrängungseffekt“, taz vom 28. 12. 10
Beim Blick auf die dunkelsten Schattenseiten der Agrospritproduktion schaut die Öffentlichkeit in die Tropen, doch auch bei uns hat längst ein ruinöser Wettbewerb um Anbauflächen eingesetzt. Wir jagen unsere Natur allerdings lieber durch Generatoren als durch den Auspuff. Das hatten sich die Grünen und Umweltverbände als „Erfinder“ des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) sicher anders vorgestellt. Der Euphorie folgt mittlerweile blankes Entsetzen.
Seit der EEG-Novelle von 2004 schießen Biogasanlagen wie Pilze aus dem feuchten Herbstboden und erhöht sich die Anbaufläche für Mais in allen Bundesländern stetig – mit allen bekannten Risiken und Nebenwirkungen. Das Land wird zur Stromerzeugung bedingungslos ausgequetscht und reicht trotzdem nicht. Pachtpreise steigen und absurde Transportentfernungen für Mais- oder Grassilage führen jede Klimabilanz ad absurdum. Die letzten artenreichen Wiesen werden in Düngeorgien auf dem Altar der „grünen“ Stromerzeugung geopfert. Den Wettbewerb um die Fläche verlieren bei uns als erste Tiere und Pflanzen. Der Bauer ist als nächstes dran.
JOACHIM GENSER, Freiburg
„Solche Kinder“
■ betr.: „Traudis Erben, taz vom 24./25./26. 12. 10
Die Vergangenheit kann man nicht ändern, Lehren aus ihr ziehen schon. Wie gehen wir Deutsche heute mit „unseren Traudis“ um? In keinem anderen vergleichbaren europäischen Land ist die schulische Selektionsquote der Kinder mit Behinderungen so groß wie bei uns. „Solche Kinder“ wachsen hierzulande getrennt und isoliert von den „gesunden“ Kindern in gesonderten Einrichtungen auf – in „Ghettos“, postnatal sozial selektiert. Wer glaubt, Kinder mit Behinderungen wollen allein „unter ihresgleichen“ aufwachsen und würden sich so am besten entwickeln, der irrt gefährlich. Pablo Piñeda, der spanische Lehrer mit Down-Syndrom, ist ein lebender Gegenbeweis. Aus „unserer beschützten Einrichtung“ heraus hätte er niemals eine Uni betreten.
Wer glaubt, Inklusion von Menschen mit Behinderungen müsse von den Betroffenen selbst sozusagen im demokratischen Streit erkämpft werden, irrt ebenso. Menschenrechte sind nicht demokratisch verhandelbar. Sie sind in jedem Falle zu gewähren. Nicht der Mensch mit Behinderung muss beweisen, dass und ob er ein Lebensrecht hat, dass und ob er fähig ist, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sondern die Mitmenschen ohne Behinderung müssen ihre gesellschaftlichen Räume inklusiv gestalten. Begründet wird die Ausgrenzung immer mit diesem weichen und so gefährlichen Satz: Die „gesonderte Einrichtung“ sei das Beste für sie. Dort können sie „geschützt“ aufwachsen. Ist es nicht viel mehr das Bedürfnis, sie aus unseren Lebens- und Gesellschaftsräumen zu entfernen, das sich da unter dem Deckmäntelchen des „Schutzes“ versteckt? Wovor müssen sie beschützt werden? Vor den „gesunden“ Kindern? Vor ihren Mitmenschen ohne Behinderungen? Magdalena Federlin, Aichach
So viel Dummheit und Unwissen!
■ betr.: Zeitungsberichte zu Hartz IV
Die Zeitungsartikel schaffen es, Zorn in mir auszulösen. So viel Dummheit und Unwissen unserer Politiker, die dann schwer in unser Leben eingreifen. So etwas ist Desinteresse und Respektlosigkeit. Die Hartz-IV-Regelsätze treffen Menschen, die der Grundsicherung bedürfen, sie sind meistens älter oder behindert, nicht in der Lage, für sich Sorge zu tragen, arbeiten zu können. Alt, behindert, arm: Hatten wir das nicht schon? Eine Vorsorge kann Mensch mit Behinderung nicht treffen, entweder fehlt das Kleingeld oder die Behinderung ist unumkehrbar. Polio ist Polio, die Querschnittslähmung wird auch nicht mit einem Schnipser aus der Welt geschafft, das muss gelebt werden, aber bitte in Würde. Viele schwer Erkrankte mit nicht sichtbarer Behinderung möchte ich nicht unerwähnt lassen. Es gibt viel zu tun, packt es endlich weise an. INGRID PÜTZ, Baunatal
Weder Putin noch Oligarchen
■ betr.: „Eine juristische Farce“, taz vom 28. 12. 10
Bei der Debatte über die Verurteilung Michail Chodorkowskis stellt niemand die Frage, warum dem Kreml die Stigmatisierung dieses speziellen Oligarchen überhaupt so wichtig ist. Die Person Chodorkowski ist vielleicht nicht wichtig, solange es dem Kreml gelingt, das Exempel zu statuieren, das da besagt, dass Russland offiziell vom Kreml beherrscht wird, und dass der Kreml über die Oligarchen wacht. In dieser Symbolik erschöpft sich das Ganze. Was würde ein „Sieg der Demokratie“ gegen Putin bewirken – außer einer Stärkung der Wirtschaftsoligarchie als politischer Kraft? Slavoy Zizek wies darauf hin, dass die „liberale Demokratie“ das notwendige Anhängel des postmodernen Kapitals ist. Der westliche Ruf nach Befreiung des Oligarchen ist das genaue Gegenteil der Dämonisierung der Oligarchie, die wir lange betrieben haben. Die uramerikanische Strategie, einen Bösewicht (à la Saddam Hussein) zu benennen (jetzt ist es Putin), stärkt nur die Kräfte, die wir auch nicht wollen. Nein, wir wollen weder Putin noch die Oligarchie – und eine Demokratie gibt es so in Russland nicht. MATTHIAS SÜNCKSEN, Husum
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen