AUSSORTIERT: Gregor, Oskar, Monica
An den letzten Tagen des alten Jahres hatte ich es geschafft, mein Wohnzimmer zu streichen. Das neue Jahr begann also ganz unschuldig in Weiß. Am ersten Tag des Jahres wischte ich den Staub von den Büchern im Regal und sortierte aus. Weil es mir schwer fällt, Bücher wegzuwerfen, stellte ich mir vor, jemand würde sich anhand meines Büchernachlasses ein Bild von mir machen. Da fiel mir das Aussortieren gar nicht mehr so schwer.
Zuerst musste Gregor Gysi und sein Buch „Freche Sprüche“ dran glauben. 1995 hatte es der hartnäckige Vorsitzende eines Kulturvereins in Schöneweide geschafft, den damaligen Chef der PDS-Bundestagsgruppe und den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU, Klaus Rüdiger Landowsky, an einen Tisch zu bringen. „Selbst Dreistigkeit und Freiheit können eine unterschiedliche Qualität aufweisen“, hat Gregor Gysi in sein Buch geschrieben. „Siehe Landowsky, taz und Gysi.“ Danach war Oskar Lafontaine und „Das Herz schlägt links“ fällig. Ich wusste beim besten Willen nicht mehr, warum ich es mir hatte signieren lassen. Noch viel weniger wusste ich das bei Monica Lewinskys „Ihre wahre Geschichte“, die ein ungelenker Schriftzug „Monica“ zierte.
Als Nächstes kamen die zwei roten Bände über die „Brigada Internacional“ dran, erschienen im Militärverlag der DDR, erarbeitet im Auftrag der Zentralleitung des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR, Sektion der ehemaligen Spanienkämpfer. Als ich die Propaganda entsorgen wollte, sah ich, dass sie signiert war. In Band 1 hatte mein Vater 1983 notiert, dem Jahr, als ich mein Spanischstudium begann: „Damit die Barbara immer klüger wird.“ In Band 2 hatte er geschrieben: „Was kann man mehr einsetzen als sein Leben?“ Erschrocken stellte ich die zwei Bände, und auch Gysi, Lafontaine und Lewinsky, wieder zurück ins Bücherregal im unschuldig weißen Wohnzimmer. BARBARA BOLLWAHN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen