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Man spricht Deutsch

Sprachwirrwarr als Globalisierungsgewinn: Das Online-Magazin „Berliner Gazette“ stellt sich mit seinem Projekt „McDeutsch“ fröhlich gegen Pisa

VON WIEBKE POROMBKA

Deugarisch oder auch Ungscht nennt Julia Csabai den Mischmasch, den sie mit ihren Freunden spricht. „Felakasztom a Waesche-met“, sagt die in Dresden geborene Tochter bulgarisch-ungarischer Eltern zum Beispiel, wenn sie ihre Wäsche wäscht. Und weil das deutsche Wort für Wäsche so klingt wie das ungarische „Nieren“, erzählt Csabai, kommt dabei gleich noch etwas Drittes heraus. Csabais Vater versteht nur Bahnhof, wenn er den kruden Sprachmix seiner Tochter hört. Und auch so mancher Verfechter der Pisa-Studie wird vermutlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen angesichts dieses respektlosen Umgangs mit dem hehren Gut der deutschen Sprache.

Anstatt aber immer gleich bei den Stichworten „Parallelgesellschaft“ oder „Deutschquote im Radio“ zu landen, sollte man lieber einmal danach schauen, was für kreative Potenziale sich im Zuge der Globalisierung für die deutsche Sprache ergeben. Das meint jedenfalls das Online-Magazin Berliner Gazette. Mit „McDeutsch“ haben die Betreiber des digitalen Mini-Feuilletons ein Projekt gestartet, das die Internationalisierung der deutschen Sprache nicht nur dokumentieren, sondern möglichst auch ein Stück voranbringen will.

Kern des Projekts, das man seit Anfang Juli im Internet verfolgen kann und das demnächst auch in Buchform vorliegen wird, ist eine Serie von fünfzig Protokollen, in denen internationale Künstler, Wissenschaftler und auch ein amerikanischer Hotelmanager darüber berichten, welche Bedeutung Deutsch in ihren Lebens- und Arbeitskontexten spielt. Zu Wort kommen außerdem Leute, die in Deutschland leben und die der schönen Vokabel „mit Migrationshintergrund“ entsprechen. Auch sie erzählen über ihren Alltag mit und nicht zwischen den verschiedenen Sprachen. Julia Csabai, die wahlweise ihre Wäsche oder ihre Nieren auf die Leine hängt, ist eine von ihnen.

Herausgekommen ist in diesem „internationalen Dialogprojekt“, wie Initiator Krystian Woznicki es nennt, ein undogmatisches Sammelsurium von Erfahrungsberichten, dessen inhaltliche Streuungsbreite der Internationalität der Teilnehmer in nichts nachsteht: Mit Ausnahme von Alaska haben Angehörige aller Kontinente zum Projekt beigetragen. Nicht immer Überraschendes allerdings. So findet man in den Protokollen von „McDeutsch“ auch die altbekannten Snapshots von multikulturellen Kneipenrunden, in denen Gutgelaunte sich bei exotischem Essen in einem fröhlichen Sprachmix unterhalten. Es gibt aber auch Beiträge, die der deutschen Sprache tatsächlich eine Art globaler Dimension verleihen, die manch einer ihr vielleicht gar nicht zugetraut hätte.

Der Vietnamese Nguyen Hung beispielsweise hat Deutsch während seines Studiums in Dresden gelernt. Heute lebt er in Hanoi und arbeitet für den Radiosender „Voice of Vietnam“, der Sendungen in deutscher Sprache produziert. Gehört werden die hauptsächlich von den mehr als 80.000 Vietnamesen, die aus der DDR zurückgekommen sind und die ab und zu gern den Klängen der Vergangenheit lauschen.

Um das Zuhören und um die Vergangenheit geht es auch dem texanischen Sprachforscher Hunter Weilbacher. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, berichtet Weilbacher, gab es in Texas annähernd 100.000 Menschen, die Texas-Deutsch – so nennt sich der Dialekt ehemaliger deutscher Einwanderer – sprachen. Heute sind es gerade einmal noch knapp 10.000, die eine Lucky Strike „schmauchen“ oder ihren Kindern zurufen: „Finger vont!“ In dreißig Jahren, so Weilbachers Prognose, wird dieser Dialekt ganz verschwunden sein. Um ihn wenigstens für die Forschung lebendig zu halten, führt Weilbacher Interviews mit den verbliebenen Sprechern, die er in transkribierter Form auch im Internet zugänglich machen will.

Es sind also immer wieder kleine Inseln sprachlicher Identitätsbildung und -durchmischung, von denen das Projekt „McDeutsch“ erzählt und die es allemal zu einer unterhaltsamen Lektüre machen. Wer allerdings systematische Erkenntnisse über die Wechselwirkungen von Sprachentwicklung und Globalisierung sucht, der wird sie auf den Seiten der Berliner Gazette nicht finden. Der kann dann aber ja ein bisschen im nächs- ten Pisa-Bericht blättern. Und alle anderen dürfen spätestens beim nächsten exotischen Restaurantbesuch von einem Lebensabend in Übersee träumen, wo sie – wenn’s gut geht – Gründungsväter eines neuen Dialekts werden.

Heute, 20 Uhr: McDeutsch – Symposium, Museum für Kommunikation, Leipziger Str. 16; Protokolle: www.berlinergazette.de; Krystian Woznicki: „McDeutsch. Protokolle zur Globalisierung der deutschen Sprache“. Kadmos Verlag, Berlin 2006, 14,90 €

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