: Wir müssten anhalten und weinen
KULTURAUSTAUSCH Will man Theater spielen, wenn man nichts zu essen hat? Christoph Nix, Intendant am Theater Konstanz, begleitete eine baden-württembergische Delegation nach Burundi, einem der ärmsten Länder der Welt
■ 1957 geboren, ist Jurist, Clown und Theaterintendant. Er hat als Strafverteidiger und Dozent gearbeitet und lehrt als Professor in Bremen Jugendstrafrecht und Bühnenrecht.
■ Seit 2006 ist er Intendant am Theater Konstanz und initiierte mehrfach internationale Koproduktionen. Von 2009 bis 2012 arbeitete das Theater Konstanz mit Nanzikambe Arts in Blantyre, in Malawi, zusammen. Sie machten Workshops, tauschten Produktionen aus, entwickelten mit einem deutsch-malawischen Ensemble eigene Stücke und setzten 2012 eine Spielzeit unter das Motto „Afrika – in weiter Ferne so nah“. 2009 kam Ramsès Alfa, Leiter einer Compagnie in Togo, als Regisseur nach Konstanz und konnte durch die Zusammenarbeit des Theaters mit dem Auswärtigen Amt Spendengelder sammeln für ein eigenes Theater in Togo. Projekte mit Mosambik und Südafrika sind in der Konzeptionsphase.
■ „Theater in Afrika – zwischen Kunst und Entwicklungszusammenarbeit“, hrsg. von Nadja Keller, Christoph Nix und Thomas Spieckermann, 200 Seiten, erschien dieses Jahr im Verlag Theater der Zeit.
VON CHRISTOPH NIX
Wir Europäer haben wieder einmal Glück gehabt. Wir leben auf der Nordseite der Welthalbkugel, und wenn uns einer fragt, wo das Ende der Welt liegen könnte, so werden wir unweigerlich nach unten schauen, hinabsehen auf dem Globus, dort wo die Krankheit lauert und die Armut, die Malaria und der Hunger. Vielleicht suchen wir das Ende der Welt in Patagonien oder am Südpol, vielleicht im Hades und in der Hölle, aber da ist es nicht zu finden. Es liegt am Ende einer Skala, des Human Development Index, dem Barometer für menschliche Entwicklungszustände. Dort liegen die Länder Mali oder Malawi, Niger und Burundi. Dort wo ein Mensch durchschnittlich weniger als 220 US-Dollar im Jahr zur Verfügung hat – ein Abendessen mit Freunden in Europa. Wer hat uns dahin geschickt? Was haben wir dort zu suchen und wer sind wir?
Burundi hat wunderschöne Berge und Täler, fruchtbar sehen sie aus, grün sind die Teeplantagen. Vor der Hauptstadt liegt ein Binnenmeer, voll mit Fischen, Hippos und Krokodilen. Wir fahren über zerstörte, zerfurchte Straßen, hinauf in die Berge, in die Provinz Gitaga. Wir sitzen in einem Bus, die Menschen springen zur Seite, uns voraus rast ein Militärjeep mit zehn Polizisten besetzt, die Kalaschnikow im Anschlag, vorbei an Feldern, auf denen die Tutsis ermordet wurden, vorbei an Steinbrüchen, in denen alte Frauen mit Knüppeln auf Felssteine schlagen und Splitt für den Straßenbau herstellen, vorbei an Kindern, die keine Schuhe haben, allenfalls zerrissene Kleider am Leib. Wir sehen Frauen mit Lasten auf dem Kopf, erbärmliche Hütten, ohne Tür und Tor. Wir müssten anhalten und weinen, aber das dürfen wir nicht. Wir sind erwachsen und zudem Teil einer Regierungsdelegation, die helfen soll. Wir machen eine Spritztour durch die Armut.
Vor etwa einem Jahr fragte mich der baden-württembergische Minister für den Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten, Peter Friedrich (SPD), ob ich mitführe in das kleine Partnerland. Und jetzt bin ich hier, suche nach Theaterleuten, einem Theater der Unterdrückten und frage mich, will man wirklich Theater spielen, wenn man nichts zum Essen hat? Will man sich bewegen und Worte suchen, will man Geschichten erfinden, gibt es ein Publikum? Die Straßen und Plätze sind voller Menschen. Burundi ist eines der kleinsten und mit über zehn Millionen Einwohnern dichtbesiedeltsten Länder Afrikas – seit 1962 unabhängig von Belgien. Die ehemalige Kolonialmacht hat hier einst gewütet und Menschen abgeschlachtet.
Im Burundi haben 96 Prozent aller Haushalte keinen Strom, 70 Prozent der Bevölkerung sind unternährt und hungern. Nach dem Bürgerkrieg (1999 bis 2005) hat es keinerlei Versöhnungskommission gegeben, regelmäßig gibt es große Überschwemmungen, wenn das Wasser aus den Bergen kommt, Menschen sterben – auch daran. Der Präsident Nkurunziza will ein drittes Mal wiedergewählt werden und wir wissen nicht, wer die „Guten“ und wer die „Bösen“ sind.
Auf einem Empfang beim deutschen Botschafter treffe ich den Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Der General trägt einen schwarzen Anzug, er ist ein schlanker, freundlicher Mann, er hat in Deutschland an der Bundeswehrhochschule in Hamburg studiert. Ich lade ihn nach Konstanz ein. Dann treffen wir den Rebellenführer der FNL, der eigentlich noch in den Bergen lebt. Eisiges Schweigen, dann geben sie sich die Hand, der Rebellenführer und der General.
Mit versteinertem Gesicht hört die amerikanische Botschafterin dem deutschen Botschafter zu, der von Zivilgesellschaft spricht und an diesem Abend auch die Opposition des Landes eingeladen hat. Was machen wir eigentlich hier, mit unserer Ländersolidarität, wenn das Brot oder besser der Reis und die Matoke fehlen? Ändern wir etwas, wenn unser Minister nach den verhafteten Bürgerrechtlern fragt, oder wird es nur noch schlimmer?
Wir sind aufgebrochen, um uns Fragen zu beantworten und anderen Lösungen zu bringen. Aber mit jedem Tag merke ich, dass wir nichts wissen. Wir treffen uns mit deutschen Nichtregierungs- und Regierungsorganisationen, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zum Beispiel, mit der Caritas und mit Philipp Ziser von Burundikids, der als freiwilliger Friedensdienstler im Land geblieben ist und Schulen und Behindertenheime aufbaut, Häuser für Straßenkinder und Prostituierte. Wir treffen Verena Stamm, die seit 1972 unermüdlich Gutes schafft, und Pater Benno Baumeister, der seit 60 Jahren im Land auf Seiten der Armen steht: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.
Ich treffe Freddy und Marshall, zwei Theaterleute, die keine feste Bleibe haben. Ich habe eine Kiste mitgebracht mit Masken und Schminke, Kostüme und Clownsnasen. Ich lade sie ein, zu einem Praktikum am Theater Konstanz – das kriegen wir hin, auch ohne GIZ.
Vor der Abreise trifft sich die Delegation mit Präsident Nkurunziza. Ich darf nicht dabei sein. Angeblich hatte das Auswärtige Amt Bedenken wegen meiner Person. Der Präsident sitzt auf einem hohen Stuhl, die anderen sitzen in tiefen Polstern, mindestens drei Meter Abstand. Der Präsident spricht so leise, dass niemand ihn versteht; niemand traut sich ihn aufzufordern lauter zu reden, die Konvention verhindert die Kommunikation. Minister Friedrich spricht von Menschenrechten. Ein neuer Vertrag zwischen Baden-Württemberg und Burundi will freundschaftliche Beziehungen stiften, Gerechtigkeit und Demokratie. Plötzlich erhebt sich der Präsident, die Audienz ist zu Ende.
Ich fahre mit einem burundischen Mitarbeiter der GIZ durch die Hauptstadt, er zeigt mir die Markthalle, die vor zwei Jahren abgebrannt ist. Er fragt mich, ob das GIZ-Projekt fortgeführt werde. Er berichtet über seine Angst. Der Präsident habe die Jugendbewegung der Partei bewaffnet, wie damals in Ruanda. Es gäbe zu viele Waffen im Land, und die kämen aus Deutschland.
Wenn wir wissen wollen, wie es um die Welt steht, müssen wir nach Burundi gehen. Am Ende der Straße liegt die Kathedrale. Sie ist verschlossen. Ein Soldat sperrt sie uns auf. An der Wand hängt Gottes Sohn, eine alte, einsame Frau kniet in dem großen Raum. Sie betet. Ich hoffe, dass sie nicht auf ihren Sohn wartet, um ihn erst in die Arme zu schließen, wenn er tot vom Schlachtfeld zurückkehrt.
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