: Das Leben eine Kampfzone
SÜDAFRIKA Während der WM 2010 entstand Constana Macras’ Stück „The Offside Rules“ in Johannesburg. Es erzählt von den vielen Möglichkeiten, ins Abseits zu geraten, und der Trennung in Arm und Reich. Jetzt im Hebbeltheater
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Das Leben kann wie Fußball sein – und du bist der Ball. Wirst gedribbelt, beschleunigt, auf der Stelle gehalten, zugespielt, verschossen, getreten und getreten, bis du weggetreten gar nicht mehr weißt, wer und wo du bist. In Constanza Macras’ neuem Stück „The Offside Rules“ spielt Tatiana Eva Saphir diesen Ball, kugelt über die Bühne, angestoßen und weggekickt vom 18-füßigen Ensemble aus Tänzern aus Südafrika und aus Macras’ Berliner Truppe Dorky Park. Dass dies mehr ist als ein witziges Bild, weiß man aus den Episoden davor: Sie stellen ein hartes und ruppiges Leben vor, in dem ins Abseits zu geraten zur täglichen Erfahrung gehört.
Was abseits ist, definiert zum Beispiel das System des öffentlichen Nahverkehrs in Johannesburg, das viele Townships einfach ohne Anschluss lässt. Die komödiantisch sehr begabte Ntombifuthi Sengwayo erzählt dem Publikum in einer kabarettistischen Nummer, wie mit dem Gautrain, einer für die Fußballweltmeisterschaft 2010 in Johannesburg gebauter regionaler Schnellbahnlinie, zwar mehr Beförderung stattfindet, aber auch eindeutig nur die begüterten Zentren der Stadt verbunden werden. Ins Abseits gerät man womöglich durch eigene Entschlüsse, wie ein Tänzer, der behauptet, mit neun Jahren beschlossen zu haben, nicht mehr zur Schule zu gehen und nur noch zu tanzen. Oder die Eifersucht des Stiefvaters, der die Kinder des früheren Manns seiner Frau nicht mehr vor Augen haben will, befördert dich ins Aus. Manchmal ist es auch Leichtsinn, wie bei den Touristen, die gegen alle Warnungen das falsche Viertel zu Fuß erkundeten und von Kindern überfallen wurden.
Verdeckter Klassenkampf
„The Offside Rules“ entstand 2010 in Johannesburg: Das Goethe-Institut hatte die Berliner Choreografin Constanza Macras eingeladen, dort mit Tänzern aus Soweto und Berlin zu arbeiten. In einer Szene des Stücks verknüpft Macras, was sie über das Leben während und nach der WM in Südafrika erfahren hat, mit ihren Erinnerungen an die Fußballweltmeisterschaft 1978 in Argentinien, damals war sie noch ein Kind. Es klingt wie ein Albtraum, erzählt aus der Perspektive derer, die zu den Entführten gehörten. Die Weltmeisterschaft verdecke nur den Klassenkampf, sie tue so, als wäre alle gleich, aber sie sind nicht gleich, das ist die Erfahrung im Hintergrund. Und sie bestätigte sich für Macras in Südafrika, vor allem in der Trennung zwischen Arm und Reich. Mauern und Stacheldraht sieht man dafür im Video, während überdrehte Szenen vom Sicherheitstraining erzählen und dem simulierten Überfall auf dem Weg über den Supermarkt-Parkplatz.
Macras hat die Körper ihrer Tänzer nie geschont, auch diesmal tragen alle dick wattierte Knieschoner, denn in die Luft zu springen und hart auf dem Boden zu landen ist wieder der Einstieg in viele choreografierte Abschnitte, das Rempeln, Balgen und Abstoßen der Ausgangspunkt viele Duette. Das Leben eine Kampfzone. Die Musik und die Tanzstile, die die vor Ort gecasteten Künstler mitgebracht haben, kommen dabei auf mehrfache Weise zum Einsatz: Einerseits überlässt Macras den Trommeln, den Rhythmus und das Tempo vorzugeben, Szenensplitter wieder zusammenzuführen, Einzelaktionen zu verbinden. Der Blick auf die afrikanischen Tanzstile ist andererseits nicht ungebrochen, ihre touristische Vermarktung und ihre Marginalisierung als exotischer Farbtupfer fließt mit ein. Auch sehen wir eine weiße Tänzerin, die als einzige nackt ist, am Versuch der Nachahmung eines Zulu-Tanzes scheitern. Währenddessen legt ein anderer Tänzer, Domenick Mashishi, stets mit Uniformmütze auf dem Kopf und Handschellen am Gürtel, seine eigene Sideshow mit vielen Tapdance-Elementen hin, als wäre er auf einer autonomen Umlaufbahn.
Muskelspiel der Selbstbehauptung
Dann wieder mischen sich Elemente verschiedener afrikanischer Tanzsprachen höchst virtuos mit Macras’ eigenem, robusten Stil; ein Muskelspiel der Selbstbehauptung, das oft und schnell ins Lächerliche zieht, wofür eben noch alle Kraft aufgewandt wurde. Der muskelbepackte weiße Bodyguard steht dann plötzlich nur mit einem Federgürtel bekleidet da, und man wartet, dass er nun wie einst Josephine Baker die Hüften schwingt.
Am Ende der „Offside Rules“ hat man ziemlich viel erfahren über das Leben in einer angstgeschulten Gesellschaft, die sich mit ihren sozialen Konflikten eingerichtet hat: Nicht zuletzt durch einen verschwenderischen Umgang mit Waffen machen wir eben noch ein Sicherheitstraining. Diese inhaltliche Dichte wiegt am Ende schwerer als die manchmal etwas fahrige ästhetische Komposition, die an frühere Macras-Stücke erinnert. Wer so viel zu erzählen hat, dem verzeiht man das.
■ „The Offside Rules“, bis 19. Januar im Hebbeltheater, 19.30 Uhr
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