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Albanisch oder serbisch?

AUS PRISHTINAERICH RATHFELDER

Joachim Rücker ist ein vorsichtiger Mann. Noch will und darf er sich nicht über den künftigen Status des Kosovo äußern. Seit dem 1. September regiert der 55-jährige SPD-Politiker als Chef der Mission der Vereinten Nationen im Kosovo, Unmik, die Region. Damit ist der ehemalige Bürgermeister von Sindelfingen faktisch Staatschef der insgesamt 2 Millionen Einwohner des UN-Protektorats – darunter rund 100.000 Serben, die in abgesonderten Enklaven leben. Die gewählte Regierung des Kosovo hat im Vergleich zu Rücker wenig zu sagen.

Deutschland hat das Gros der Verantwortung im Kosovo übernommen. Neben dem UN-Chef sind auch der Oberkommandierende der internationalen Schutztruppe Kfor und der Chef der Kosovo-Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Deutsche. Zudem stellt die Bundesrepublik die meisten Soldaten und Polizisten in der Provinz. Und mit dem Vorsitz der EU hat die Berliner Regierung bei der Entscheidung der UN über den künftigen Status des Kosovo ein gewichtiges Wort mitzureden.

Diese Entscheidung ist höchst brisant. Sie wurde notwendig, weil die im Frühjahr dieses Jahres begonnenen Verhandlungen zwischen der kosovo-albanischen Mehrheit und der serbischen Minderheit zu keinem tragfähigen Kompromiss geführt hatten. Noch immer sehen die Serben das Kosovo als Teil des serbischen Staates. Der will der Provinz zwar Autonomie gewähren – aber nicht die Unabhängigkeit. Genau die aber wollen die Albaner. Auch wenn Rücker ständig betont, mit der Entscheidung würden beide Seiten leben können: Im Kosovo stehen sich unvereinbare Positionen gegenüber. Nach dem UN-Votum wird es Gewinner geben. Und Verlierer.

Wie spannungsgeladen die ganze Angelegenheit ist, zeigte sich, als die Entscheidung über den zukünftigen Status der Region verschoben wurde. Ursprünglich sollte sie dieser Tage verkündet werden. Doch nach einer Regierungskrise in Serbien erklärte der UN-Chefunterhändler, der finnische Diplomat Martti Ahtisaari, dass erst nach den Neuwahlen in Serbien am 21. Januar 2007 entschieden werde. Damit wollten die UN die serbische Regierungskoalition gegenüber radikal-nationalistischen Kräften stärken. Denn die Wahlchancen stehen schlecht für Premier Vojislav Koštunica: Die Radikale Partei des in Den Haag als Kriegsverbrecher angeklagten Vojislav Šešelj ist bereits jetzt mit 35 Prozent die stärkste Kraft des Landes. Die Radikalen warten nur darauf, Koštunica vorwerfen zu können, er habe das Kosovo verkauft.

So gesehen war es ein kluger Schachzug der UN, die Entscheidung zu verschieben. Aber die kosovo-albanische Öffentlichkeit reagierte verbittert und unterstellte der UN, sie nehme wieder einmal Rücksicht auf serbische Befindlichkeiten und missachte die Belange der Albaner. Als dann Anfang Dezember auch noch entschieden wurde, Serbien in die Nato-„Partnerschaft für den Frieden“ aufzunehmen, kam es zu Protesten. „Diejenigen, die unser Land mit Krieg überzogen und 15.000 Menschen ermordet haben, werden belohnt, während wir hier in Armut versauern und als Menschen zweiter Klasse behandelt werden“, hieß es in den Verlautbarungen der immer populärer werdenden albanischen Bewegung „Selbstbestimmung“.

In der Tat muss die internationale Gemeinschaft befürchten, dass es zu Unruhen kommt, wenn nicht im Sinne der nationalen Ziele der jeweiligen Nationen entschieden wird. Noch wird hinter den Kulissen weiter um die Lösung gerungen, denn „dort kracht es weiter; selbst die Europäer sind sich uneins, die Amerikaner und die Russen haben ohnehin gegensätzliche Positionen“, sagt ein Mitarbeiter der UN, der selbstverständlich nicht zitiert werden will. Im UN-Sicherheitsrat, der letztlich die Entscheidung trifft, sind mit China und Russland zwei Mächte vertreten, die angesichts ihrer eigenen Probleme in Tschetschenien und Tibet im Falle Kosovos keinen Präzedenzfall für die Unabhängigkeit von umstrittenen Gebieten dulden wollen. Russland hat bereits sein Veto für den Fall angekündigt, dass die serbischen Interessen übergangen werden.

Die UN-Mission wird aufgelöst

Fest steht bisher nur, dass die UN-Mission im Juni nächsten Jahres aufgelöst wird. An ihre Stelle soll dann eine Mission der EU mit rund 1.000 Mitarbeitern treten, die weiterhin der Regierung des Kosovo zur Seite stehen soll. Doch viele Details sind noch nicht geklärt. UN-Chef Rücker macht immerhin ein paar Andeutungen. Er beruft sich auf die Eckpunkte der sogenannten Kontaktgruppe, in der die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland und Italien über die Statusfrage verhandelten und ihre Empfehlungen an die UN weitergaben. Nach diesen Empfehlungen wird die Entscheidung so ausfallen, „dass sie für die Menschen im Kosovo akzeptabel ist“, sagt Rücker noch. Informationen, nach denen die Provinz selbstständig regiert, aber keinen Sitz in der UN erhalten würde und damit auch keine eigene Außenpolitik verfolgen kann, mag er weder bestätigen noch dementieren: Die Verhandlungsführung liege bei Ahtisaari. Die Staatswirtschaft aber, die nach der bisherigen Rechtslage dem serbischen Staat gehört, werde weiter privatisiert werden. „Schon jetzt hat die Privatwirtschaft für nicht unerhebliche Zuwächse gesorgt.“

Der kritischste Punkt bei der Entscheidung über den Status ist jedoch die Frage der Dezentralisierung. Die soll den serbisch dominierten Gemeinden im Kosovo eine weitreichende Selbstverwaltung ermöglichen. Nach serbischen Vorstellungen sollen die bisherigen serbischen Enklaven ausgeweitet werden. Die Serben sollen eigenständige Polizeikräfte, ein eigenes Schulsystem und eine eigenständige Verwaltung erhalten. Um die historisch und kunstgeschichtlich wertvollen mittelalterlichen Kirchen und Klöster herum sollen ganze Landstriche zu serbischem Gebiet erklärt werden. Nach diesen Vorstellungen würden sogar albanische Dörfer in diese serbisch kontrollierten Gebiete integriert werden. Insgesamt würden mehr als 20 Prozent der Landfläche wieder an die Serben fallen. Damit hätte der serbische Staat wieder einen Fuß im Kosovo.

Die Albaner sind an diesem Punkt gespalten. Die politische Führung unter Premier Agim Çeku und das albanische Verhandlungsteam haben diesem Modell im Herbst im Prinzip, wenn auch nicht in ganzem Umfang, zugestimmt. Nach den Worten des Kommissionsmitglieds Enver Hoxhaj, Politologieprofessor, geschah dies nur, um auf anderen Gebieten – etwa in der Frage der Souveränität, der Armee und der Wirtschaft – Konzessionen von der serbischen Seite zu erreichen. „Man muss das Ganze als Gesamtpaket sehen. Sollten jedoch unsere wesentlichen Forderungen in Bezug auf die Souveränität nicht akzeptiert werden, könnte das gesamte Paket auseinanderfliegen.“ Das Kosovo müsse einen Sitz in der UNO erhalten. Die diplomatische Anerkennung des Landes könnte aber vielleicht den einzelnen Staaten überlassen bleiben.

Die Albaner wollen Klarheit

Doch viele Kosovo-Albaner misstrauen solchen Winkelzügen. Sie wollen Klarheit. Der 31-jährige frühere Studentenführer Albin Kurti, der über 5 Jahre in serbischen Gefängnissen saß, ist zum wichtigsten Ferment der Bewegung geworden, die immer mehr Zulauf erhält. Die vor allem von jungen Leuten getragene Bewegung „Selbstbestimmung“ erklärte lautstark, das albanische Verhandlungsteam habe die Interessen der Albaner verkauft. „Unsere Politiker sind korrupt. Wie kann jemand mit einem offiziellen Gehalt von 400 Euro eine Villa bauen?“, fragt Kurti. Nur so sei zu erklären, dass die politische Führung einem solchen Vorschlag über die Dezentralisierung zustimmen konnte.

„Die serbisch kontrollierten Gebiete werden einem Staat im Staate gleichen, der von Belgrad aus regiert wird, das dann alle wichtigen Verbindungsstraßen kontrolliert.“ Mit dem UN-Modell würden zudem ständig ethnische Konflikte geschaffen, das Kosovo würde niemals zur Ruhe kommen. „Die UN- und die im nächsten Jahr geplante EU-Mission werden vor allem dazu da sein, die Umsetzung der sogenannten Dezentralisierung zu erzwingen. Warum sonst sollen an die tausend Polizisten ins Land gebracht werden?“ Stattdessen soll die UN-Mission aus dem Kosovo verschwinden, die Provinz soll einen Sitz in der UN erhalten – und statt einer EU-Mission im Kosovo soll Kosovo besser Teil der EU werden, fordern Kurti und mit ihm zehntausende von Kosovo-Albanern.

Solche Polemik fordert die aus der ehemaligen Kosovo-Befreiungsarmee UÇK hervorgegangene politische Führung der Albaner heraus. Anfang Dezember verhaftete die Kosovo-Polizei einige Köpfe der Bewegung. Zwar wurde die Repression inzwischen wieder gelockert, Kurti, der zwischenzeitlich abgetaucht war, ist wieder aus dem Untergrund aufgetaucht; doch weiter ist abzusehen, dass sich breiter Widerstand gegen die Vorschläge der UN entfalten wird. Im Kerngebiet der einstigen UÇK, der Region um die Stadt Drenica, wurden Anfang Dezember zudem Kämpfer der Albanischen Nationalarmee (AKSh), einer bewaffneten und uniformierten Widerstandsgruppe, gesehen.

„Die Gemeindereform sichert unsere Arbeitsplätze“, lacht ein Mitglied der OSZE-Mission im Kosovo, „und wenn es weiterhin Spannungen gibt, ist unsere Präsenz nach wie vor notwendig.“ Der ironische Gesichtsausdruck weicht einem ernsten. Nach Lage der Dinge, so der Informant weiter, wird sich die Lage nach der Entscheidung im Kosovo zuspitzen. „Wir müssen uns im Frühjahr warm anziehen.“ Joachim Rücker versucht zu beruhigen: „Es gibt natürlich Extremisten auf beiden Seiten, aber der Kompromiss wird von den Mehrheiten auf beiden Seiten akzeptiert werden können.“ Und wenn nicht? Dann stehen die Deutschen das erste Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges in einem internationalen Konflikt in der politischen und militärischen Verantwortung.

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