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Die offenen Adern Huanunis

In Huanuni tobt der Krieg um die Zinnvorkommen Boliviens. Jetzt versucht die Regierung Morales einen staatlichen Neuanfang

AUS HUANUNI GERHARD DILGER

Tausende Minenarbeiter und ihre Familien säumen den Sportplatz von Huanuni. Auf einer Bühne stehen mit Blütenketten behängte Würdenträger: Minister, Gewerkschaftsfunktionäre, Lokalpolitiker. Eine Militärkapelle spielt auf. 500 Polizisten marschieren vorbei. Im Hintergrund erhebt sich kahl und zerfurcht der Berg Posokoni, unter dem die größten Zinnvorkommen Boliviens lagern. Es ist der 21. Dezember, der „Tag des Bergarbeiters“.

„Wir haben uns mit den Streitkräften, indigenen Völkern und Bauern zusammengetan, um Bolivien neu aufzubauen“, ruft Bergbauminister Guillermo Dalence. „20 Jahre lang hat man versucht, mit den Minenarbeitern aufzuräumen, aber sie haben es nicht geschafft. Wir sind wieder da. Hier gehen wir den ersten Schritt bei der Nationalisierung der Minen.“

Huanuni, 50 Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Oruro im Hochland der Anden gelegen, ist Boliviens Zinnhochburg. Ihre Blütezeit erlebte sie nach der ersten Verstaatlichung vor gut 50 Jahren. Nach einem langen Niedergang boomt die Nachfrage seit ein paar Jahren wieder, vor allem aus China und Indien. Der Weltmarktpreis für das graue Metall schnellte nach oben, Tausende strömten in der Hoffnung auf schnellen Reichtum nach Huanuni. Immer näher sind die wellblechgedeckten Steinhäuser und Holzhütten an den Posokoni herangerückt. Fast 40.000 Menschen leben hier, doppelt so viele als vor fünf Jahren.

Sauberes Wasser und Kanalisation haben die wenigsten. Der Río Huanuni, der mitten durch den Ort fließt, ist eine einzige stinkende Kloake, in der auch noch die giftigen Rückstände aus dem Bergwerk landen. Doch die Stadt steht vor einem Neuanfang – wieder einmal.

Zählte die staatliche Firma Minera Huanuni vor drei Monaten noch 800 Angestellte, so sind es jetzt gut 5.000. Private dürfen den Posokoni nicht mehr ausbeuten. Denn Anfang Oktober tobte in Huanuni der „Zinnkrieg“: Viele der 4.000 auf eigene Rechnung arbeitenden Männer, die „Kooperativisten“, wollten die unteren, die lukrativen Schichten der Mine im Sturm nehmen. Doch die Arbeiter des Staatsbetriebs wehrten sich, zwei schier unendliche Tage lang.

Einer von ihnen erzählt: „Von hier oben haben sie Reifen voller Sprengstoff herunterrollen lassen“, sagt Evert Choque und deutet auf einen felsigen Vorsprung oberhalb des Werksgeländes. Dann zeigt der Gewerkschafter auf einen Haufen geschmolzener Blechreste, verbogener Metallgestelle und zerbrochener Backsteine – die Ruinen einer Siedlung, die durch eine Explosion zerstört wurde. „Hier haben 40 Familien gewohnt und Sprengstoff an die Kooperativisten verkauft. Eine Dynamitstange hat eine Kettenreaktion ausgelöst, es war wie eine Bombe. Zwei Frauen wurden unter den Trümmern begraben.“

Auf beiden Seiten gab es Scharfschützen. Die viel zu spät entsandten Polizeieinheiten und ein katholischer Bischof erreichten schließlich einen Waffenstillstand. Am Abend des 6. Oktober waren 16 Menschen tot und über 60 verletzt. Die Regierung hätte das Massaker verhindern können, hieß es allerorten. Präsident Evo Morales blieb zunächst sprachlos. Dann ersetzte er seinen Bergbauminister, einen Kooperativisten aus Huanuni, durch den früheren Minengewerkschafter Dalence und verstaatlichte die Mine per Dekret.

Im Herzen der Mine

Den Weg in die Mitte des Zinnbergs weist uns Sicherheitsinspektor Fermín Ponce, ein kleiner Mann mit festem Blick. Nachdem wir in den blauen Arbeitsoverall geschlüpft sind, „für den Notfall“ eine Gasmaske umgehängt und die batteriebetriebene Grubenleuchte an den braunen Helm geklemmt haben, kann es losgehen. Auf genau 4.000 Metern Höhe, mitten auf dem Werksgelände der Minengesellschaft, liegt der Eingang zum Hauptstollen „Patiño 0“.

Angelegt wurde er vor knapp hundert Jahren, als die Mine zum Imperium von „Zinnkönig“ Simón Patiño gehörte. Selfmademan Patiño brachte es durch seine Bergwerke und die skrupellose Ausbeutung seiner Landsleute zum reichsten Mann Boliviens. Viel scheint sich seit Patiño an dem Stollen nicht geändert zu haben. Die Helmlampen sind die einzige Beleuchtung neben den Scheinwerfern der Minilokomotiven, die die Loren mit dem zinnhaltigen Erz zu den Mahl- und Schlämmanlagen gleich unterhalb der Stollenausfahrt schaffen. Dort wird das Metall aus den Felsbrocken herausgeschlagen und -gewaschen. Die Temperaturen im Hauptstollen sind jetzt angenehm, denn es ist Sommer. „Im Winter wird es manchmal 15 Grad unter null, da hängen hier die Eiszapfen herunter“, sagt Ponce.

In einer großen Ausbuchtung thront übermannshoch Tío Hilaco, eine teufelähnliche, gehörnte Figur mit einer luftschlangenumrahmten Fratze. „Der Onkel ist der Hüter des Zinns“, sagt Fermín Ponce, „an Karneval gibt es hier ein großes Fest zu seinen Ehren.“ Zigarettenstummel und ein paar Handvoll Kokablätter im Schoß des Ungeheuers zeigen, wie es die Kumpel gnädig stimmen wollen.

Kleine Gruppen von frisch angestellten Exkooperativisten sind in Seitengängen mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Alle kauen Koka, aber von der vorgeschriebenen Ausrüstung haben sie nur Helm und Leuchte, selbst Handschuhe fehlen manchmal. „Das wird ein langwieriger Übergangsprozess“, sagt Ponce, der die zwei „konträren Arbeitskulturen“ aus eigener Anschauung kennt. „Seit 20 Jahren gibt es Streit um den Berg.“

„Nach den Massenentlassungen von 1985 haben viele arbeitslos gewordene Kumpel angefangen, die stillgelegten Stollen wieder zu aktivieren“, erzählt der 46-Jährige. Auch er quälte sich eine Zeit lang als Selbstständiger. „Das ist viel gefährlicher, aber wer Glück hat, verdient dann in wenigen Tagen einen ganzen Monatslohn.“

Ponce schlug sich lieber als Fahrer durch. Erst vor zehn Jahren bekam er eine Anstellung in der Staatsfirma mit festem Gehalt und Sozialleistungen. Seitdem hat er sich geduldig in die Führungsposition als Inspektor hochgearbeitet, wie er stolz berichtet. Jetzt befürchtet er, die individualistischen Neukollegen könnten im Betrieb die herrschende „Ordnung und Disziplin“ untergraben.

Nach zwei Kilometern Fußmarsch bringt uns ein Lastenaufzug 200 Meter weiter in die Tiefe zur Ebene  200. Hier ist die Luft stickig und warm, die Gänge sind enger und niedriger. Stößt man mit dem Helm an die Starkstromleitung, blitzt und kracht es. Schweißüberströmt schippt ein junger Anfänger Zinngeröll aus einer umgekippten Lore zur Seite.

Neoliberale Bonanza

Auf einer schrägen Rampe wird ein Wagen mit Rohmaterial aus der tiefer gelegenen Ebene – 240 hochgezogen und in die bereitstehenden Loren gekippt. Je tiefer die Schicht, desto höher der Zinngehalt. „Die Ebenen – 240, – 280 und – 320 werden in den nächsten Jahren mit moderner Technik erschlossen, die Mahl- und Schlämmanlagen ausgebaut“, sagt Ponce. „Das hat der Minister versprochen.“ Dann berichtet er davon, dass es viel zu wenig qualifiziertes Fachpersonal gibt. Deswegen könnten die neuen Posten nach politischen Kriterien vergeben werden, fürchtet er.

Auf dem Rückweg erzählt Ponce, wie die Staatsfirma vor sechs Jahren ein ungleiches Joint Venture mit dem britischen Investor Allied Deals einging, der für eine halbe Million Dollar 85 Prozent der Anteile erwarb. „Doch anstatt die zehn Millionen zu investieren, wie sie versprochen hatten, haben sie den Berg nur weiter ausgeplündert.“ Zudem kaufte Allied Deals die staatseigene Zinnschmelze bei Oruro. Nachdem die Firma in London Konkurs angemeldet hatte, übernahm in Huanuni der Staat.

Die Schmelze ging im Juni 2002 an das Unternehmen Comsur von Gonzalo Sánchez de Lozada, der die Wirtschaftspolitik ab 1986 als Minister und Präsident des Landes maßgeblich bestimmt hatte. Zwei Monate später wurde der Minenmilliardär mit dem nordamerikanischen Akzent erneut zum Staatschef gewählt. 2005 kaufte der Schweizer Rohstoffmulti Glencore Comsur für 220 Millionen Dollar – Sánchez de Lozada weilte zu dem Zeitpunkt bereits im Exil in den Vereinigten Staaten.

„So hat der Neoliberalismus für uns funktioniert“, sagt Fermín Ponce und lacht bitter. Ob alle ehemaligen Kooperativisten klein beigeben werden, ist für ihn noch nicht ausgemacht. Noch im September hatten sie versucht, den Konkursverwaltern in London Aktien des Bergwerks abzukaufen. Als sie merkten, dass sie damit nicht durchkamen, bliesen sie zum Angriff.

Immer wieder ist Minister Dalence seither angereist, um geduldig für die „Wiedergeburt des staatlichen Bergbausektors“ zu werben. Nach einem Treffen mit Firmenleitung, Gewerkschaftern und Kooperativisten sagt er in die Mikrofone der Lokalradios: „Wir haben 25 Millionen Dollar, um Huanuni zur Speerspitze des Bergbaus zu machen. Wenn Arbeiter, Techniker und Regierung an einem Strang ziehen, ist das zu schaffen.“

„Alle weiteren Projekte müssen wir prüfen“, sagt Dalence – auch die von Evo Morales angekündigte Nationalisierung der Glencore-Schmelze. Trotz des Engagements des Ministers bleibt die Regierungsstrategie nebulös. Dass Morales seinen Besuch am „Tag des Bergarbeiters“ in letzter Minute abgesagt hat, wegen „dringender Aufgaben“ und angeblicher Sicherheitsbedenken, passt ins Bild. „Sicher hat der Präsident ein schlechtes Gewissen“, ruft René Taboada vom örtlichen Bürgerkomitee in Anspielung auf die Vorgeschichte der blutigen Kämpfe. „Er hätte uns einiges zu erklären.“

Hat die neue Firma eine Zukunft? Die Zinnvorkommen im Posokoni sollen mehrere hundert Millionen Dollar wert sein. Doch die Arbeiter auf dem Sportfeld von Huanuni bleiben skeptisch. „Zwei Jahre ist unser Job sicher“, sagt Evert Choque, „vielleicht auch länger, wenn der Zinnpreis oben bleibt.“ Fermín Ponce zuckt nur mit den Achseln und sagt: „Es ist unsere letzte Chance.“

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