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Keiner soll die Industrie zwingen

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber wehrt sich gegen eine neue weltweite Norm, die Unternehmen sozialer und ökologischer machen soll

VON HANNES KOCH

Dem, der freiwillig Gutes tut, ist Beifall gewiss. Aber noch einen weiteren Vorteil genießt der Wohltäter: Er entscheidet allein, niemand redet ihm hinein. Auf eine derart günstige Position möchte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BdA) nicht verzichten. Deshalb droht sie mit dem Ausstieg aus den Verhandlungen über eine neue internationale Norm, die Standards für soziales und ökologisches Verhalten von Unternehmen festlegen soll.

Seit 2004 arbeitet die International Standard Organisation in Genf an ihrer neuen ISO-Norm 26000. Die Idee: Unternehmen überall auf der Welt sollen möglichst pfleglich mit ihren Beschäftigten, den Menschen in ihrem Einflussbereich und der Natur umgehen. Erstmals würde die neue ISO-Norm – vergleichbar mit deutschen DIN-Normen – einheitlich beschreiben, welche soziale und ökologische Verantwortung den Firmen unabhängig von Gesetzen zukommt. Heute herrscht eine bunte Vielfalt hunderter Standards, Kodizes und Vereinbarungen.

An dem bisherigen Ergebnis der ISO-Verhandlungen lässt die BdA nun kein gutes Haar. Der vorliegende Entwurf sei „wirr“, heißt es in ihrer aktuellen Stellungnahme. „Die meisten Kapitel müssen zurückgezogen und komplett überarbeitet werden.“ Geschehe das nicht, „erwägen wir, unser Engagement zu beenden“, schreibt die Arbeitgebervereinigung.

Die BdA stört unter anderem, dass die ISO-Norm für „die komplette Lieferkette“ der Firmen gelten soll. Karstadt, Aldi, Adidas und andere Firmen garantieren heute zwar, dass die Beschäftigten in den alten Industriestaaten freie Tarifverhandlungen führen können, einen landesüblichen Lohn und Urlaub erhalten. Was aber in den Niederlassungen und Zulieferbetrieben in China, Bangladesch oder Mexiko passiert, lässt sich schon viel schwieriger kontrollieren. Oft sind die Konzerne auch überfordert und wissen noch nicht einmal, von wo im chinesischen Hinterland sie Vorprodukte erhalten.

Was die Menschen- und Arbeitsrechte angeht, so meint die Arbeitgebervereinigung, müssen sich die Unternehmen an die Gesetze des jeweiligen Landes halten. Sind freie Gewerkschaften, wie etwa in China, verboten, könnten die Firmen daran nichts ändern. Eine soziale und ökologische Verantwortung, die über die Gesetze hinausgehe, müsse deshalb strikt freiwillig sein. „Den Unternehmen darf man keine Verantwortung aufbürden, die eigentlich die Staaten tragen sollten“, sagt Antje Gerstein, die die BdA im ISO-Prozess vertritt.

Das aktuelle Verhandlungspapier der ISO beschreibt dagegen eine andere Position. Unternehmen sollen „dieselben Sozial- und Umweltstandards für alle ihre Zweigwerke“ akzeptieren. Ausnahmen für China oder Birma gibt es da nicht. Und das wird auch begründet: Durch die Globalisierung würden viele Staaten schwächer, Unternehmen aber stärker – Letztere hätten daher mehr Verantwortung.

„Die ablehnende Haltung der BdA ist sehr bedauerlich“, sagt Patrick von Braunmühl, der Vertreter internationaler Verbraucherverbände in den ISO-Verhandlungen. Die Arbeitgeberlobby weise „jegliche Vorgaben zurück, die den Handlungsspielraum der Unternehmen einschränken“.

Mit seiner Ablehnung findet die deutsche Arbeitgebervereinigung nur wenig Unterstützung. Eine ähnliche Position vertritt zwar Adam Green von der US-Firmenlobby Council for International Business. Die Mehrheit der 38 Länderdelegationen hingegen hat keine grundsätzlichen Probleme. Schweden und Brasilien treiben den ISO-Prozess voran.

Die BdA hat unter anderem Angst vor einer speziellen Form zusätzlicher Verpflichtungen: der Zertifizierung. Von Prüffirmen ausgestellte Zertifikate dienen heute als Beleg dafür, dass die Firmen bestimmte ISO-Normen erfüllen. Unternehmen könnten deshalb auch unter Druck geraten, mit einem ISO-Zertifikat zu belegen, dass sie soziale Mindeststandards einhalten, meint der am ISO-Prozess beteiligte Ingo Schoenheit vom Institut für Markt, Umwelt und Gesellschaft. Zertifizierung wirkt zwar nicht so stark wie ein Gesetz – aber manches, was sich die Lieferanten und Filialen europäischer Konzerne heute in Entwicklungsländern leisten, wäre vielleicht nicht mehr möglich.

Was die BdA bei ihrer Kritik an der ISO-Norm vergisst: Viele deutsche Unternehmen brauchen sich nicht zu verstecken, was ihre soziale und ökologische Leistung angeht. Sie erfüllen internationale Standards ohne große Mühe. „Eine Zertifizierung könnte ihnen sogar ökonomische Vorteile bringen“, sagt Horst Prießnitz. Er ist Geschäftsführer des Markenverbandes, dem 360 deutsche Unternehmen angehören. „Auf die Dauer wären andere Firmen gezwungen, sich dem höheren Standard anzupassen“, so Prießnitz, „das würde auch die Billigkonkurrenz verringern.“

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