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Klempners Rampentour

Skisprung-Trainer Peter Rohwein blickt neidisch auf die Norweger. Während ihm wenige Athleten zur Verfügung stehen, springen in Skandinavien sogar emsige Sanitär-Fachkräfte in die Weltspitze

AUS INNSBRUCK KATHRIN ZEILMANN

Im Mai war es für Mika Kojonkoski an der Zeit, wieder einmal zu schauen, welche Skispringer in den Weiten Norwegens von den vielen Schanzen hüpfen. Vielleicht ließe sich ja die ein oder andere Begabung entdecken. Er lud also nach Lillehammer zur Sichtung, und viele Hobby-Springer kamen. Es ist nichts Ungewöhnliches in Norwegen, dass junge Männer neben ihrem Beruf in ihrer Freizeit in einem Verein skispringen. Anders Jacobsen, 21, arbeitete als Klempner und betätigte sich nach Feierabend und am Wochenende für das „Flying Team Vikersund“. In Lillehammer sprang er und erregte die Aufmerksamkeit des Cheftrainers. Kojonkoski bat Jacobsen zum Gespräch und hielt ihn für Weltcup-tauglich.

Im Sommer gelangen ihm achtbare Resultate im Grand Prix, in Engelberg kurz vor Weihnachten feierte er seinen ersten Weltcupsieg. Nun führt er in der Gesamtwertung der Vierschanzentournee und hat es gut verkraftet, dass die ersten Tournee-Auftritte nicht ganz so gelungen waren. „Ich hatte eigentlich gedacht, es wird noch schlechter. Aber er hat sich zurückgekämpft“, sagt Kojonkoski. Vom Klempner zum Vorflieger – das funktioniert nur in Norwegen und deshalb ist es gut möglich, dass Kojonkoski von seinem Kollegen Peter Rohwein beneidet wird. In Deutschland ist Skispringen eine Angelegenheit für wenige Leistungssportler und einige Nachwuchstalente. Gelingt ihnen der Sprung in die Kader des Skiverbandes nicht, stellen sie früher oder später die Sprungskier in die Ecke. Die wenigen, die springen, müssen gehegt und gepflegt werden. Eine Sichtung zu veranstalten, wäre sinnlos, weil niemand käme, der nicht schon irgendwie in den Strukturen des Verbandes erfasst wäre.

So muss Rohwein mit Michael Uhrmann, dessen Leistung am Bergisel beim dritten Tournee-Springen nur eine Verheißung war, und mit Martin Schmitt, der wieder zurückfiel in seinen Bemühungen, in die Weltspitze zurückzukehren, die Reise nach Bischofshofen antreten. Jörg Ritzerfeld darf auch mitfahren; Christian Ulmer und Maximilian Mechler, die bei der Tournee nicht groß aufgefallen waren, werden aus der Reisegruppe gestrichen. „Es hat keinen Sinn, weil der Leistungsanspruch nicht erfüllt wird“, sagt Rohwein und seufzt, so als wünsche er sich auch einen Klempner, der irgendwo in den deutschen Alpen oder Mittelgebirgen vor sich hin springt und nur darauf wartet, sein Können zeigen zu dürfen.

Diese 55. Vierschanzentournee ist eine seltsame aus Rohweins Sicht. Im Vorwinter lief es einfach nur schlecht, niemand seiner Schützlinge konnte überzeugen, Schmitt verzichtete auf das Finale in Bischofshofen. In dieser Saison gibt es Hoffnungszeichen wie Schmitts achten Rang von Garmisch-Partenkirchen, Uhrmanns gelungenen Qualifikationssprung von Innsbruck und seinen Finalsprung, der ihn von Rang 29 auf Platz 10 katapultierte. Er muss nun also nicht mehr erklären, warum es schlecht läuft, sondern erläutern, warum es nur zuweilen, aber nicht stets gut läuft.

In der Pause zwischen Uhrmanns desolatem erstem Sprung und dem hervorragenden zweiten Satz habe er auf ihn „eingewirkt, so gut es geht“, berichtet Rohwein. „Ich habe gesagt, du springst Weltklasse weg, es gibt nur ganz, ganz wenige, die so wegspringen. Wenn du nicht so nachmarschierst und den Sprung ausklingen lässt, dann bist du vorn dabei, setze das um.“ Und er glaube, dass sich sowohl Schmitt als auch Uhrmann zu sehr unter Druck setzen, wenn das Publikum an der Schanze und vor dem TV-Schirm erwartungsfroh der Dinge harrt: „Das ist ganz einfach, wenn sie unter Stress gesetzt werden, sie wollen das Beste geben, sie wissen, dass sie gut sind, dann kommt der Wettkampfstress. Es sitzen 20.000 Leute unten, und du willst endlich beweisen, was du kannst, und du springst nicht mehr 100 Prozent, sondern 110 Prozent, und das sind dann plötzlich nur noch 80 Prozent.“

Das ist jetzt aber fast schon höhere Mathematik, die Rohwein den Beobachtern abverlangt. „Akzeptable Ergebnisse“ erhoffe er sich von seinen drei Startern in Bischofshofen. Prognosen wagt der Trainer schon lange nicht mehr.

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