: Mehr als die Summe ihrer Teile
GEGENWARTSKUNST Mit vier zeitgleich eröffneten Ausstellungen werben die Institutionen rund um den Teerhof für den Standort – etwa mit zwei wunderbaren Künstlerinnen
VON JAN ZIER
Natürlich geht es nicht nur um die Kunst in diesen Ausstellungen. Weil: Es ist ja kein Zufall, dass alle Institutionen, die – noch – rund um den Teerhof angesiedelt sind, zeitgleich eine Ausstellung eröffnen.
Sondern ein Statement. Der konzertierte Versuch einer Selbstbehauptung in der Standortdebatte, die seit Langem um die Frage kreist, ob das Museum Weserburg und, mit ihm, das Studienzentrum für Künstlerpublikationen und die Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) bleiben darf, wo es ist. Oder ob’s deutlich geschrumpft und mit der Kunsthalle zusammengelegt wird, dafür aber einen kleinen Neubau in den Wallanlagen bekommt. Zur Eröffnung jedenfalls war das öffentliche Interesse immens, alle Ausstellungen brechend voll, und gefeiert wurde bis in den Morgen hinein. Aus Sicht der beteiligten Institutionen war das Event also ein voller Erfolg. Ob sie damit nachhaltig für den Teerhof punkten konnten? Unklar. Die Bewegung, die für eine wie auch immer geartete Fusion, einen Neubau wirbt, ist stark. Und ausgerechnet Klaus Sondergeld, Stiftungsratschef der Weserburg, ist einer ihrer Anführer.
Während sein Haus derzeit großflächig die MeisterschülerInnen der Hochschule für Künste zeigt (taz berichtete) und das Studienzentrum sich dem italienischen Künstler Guglielmo Achille Cavellini widmet, zu dessen 100. Geburtstag, zeigen GAK und Künstlerhaus je eine erste institutionelle Einzelausstellung junger Künstlerinnen.
Wobei nur Nadira Husain wirklich zum ersten Mal in Bremen zu sehen ist, in diesem Falle im Künstlerhaus. „Beugen Strecken“ ist dabei weniger die Summe einzelner Teile als vielmehr eine raumgreifende Gesamtkomposition, eine Kulisse – für genau diesen Ort. Und zwar eine, die dich im ersten Moment mit ihrer Fülle, ihren Farben, ihrer Lautstärke schier erschlägt. Im zweiten Moment aber ist sie unglaublich still und friedlich, vielschichtig und grundsätzlich, ja: auf eine sehr liebevolle Weise umarmend. Die französisch-indische Künstlerin, 1980 in Paris geboren, heute dort sowie in Berlin lebend, Husain also, zerlegt alles, was sonst zusammengehört: Bild und Rahmen, Motiv und Hintergrund, Muster und Ornament, Zentrum und Ordnung. Und am Ende wird alles neu zusammengesetzt, von lästiger Hierarchie befreit, von einengend-klassischer Perspektive. Miniaturen und Dekor spielen dabei eine tragende Rolle, auch Comics, dazu Husains indische Wurzeln, der feministische Diskurs. Man kann die Ausstellung als grundsätzliche, stark emanzipatorische Reflexion auf die Malerei begreifen. Aber man kann auch einfach kommen, gucken, sich treiben lassen, etwas Spaß haben. Beides ist wunderbar.
Auch Nina Hoffmann, deren Ausstellung „Ich brauche wenig Wirklichkeit“ nun in der GAK zu sehen ist, ist 1980 geboren, auch sie lebt heute in Berlin, auch sie arbeitet mit der eigenen Biografie, ohne sie allzu sehr, allzu eitel in den Mittelpunkt zu rücken. Und auch diese Ausstellung kann man ganz selbsterklärend anschauen – das ist, gerade in der GAK, nicht selbstverständlich. Oft auch nicht gewollt. Dabei war keineswegs von langer Hand geplant, dass Frau Hoffmann hier und Frau Husain zugleich nebenan ausstellt. Das war, wie GAK-Direktorin Janneke de Vries sagt, ein „wunderbarer Zufall“.
Hoffmanns Thema ist die Liebe. Hier kann also jeder mitreden. Eine der stärksten Arbeiten – du kannst gar nicht an ihr vorbei – steht gleich am Beginn dieser Ausstellung, sie gab ihr auch den Titel. Da werden, in mehreren Fotos, mit Selbstauslöser, Idealbilder nachinszeniert, unerfüllte Sehnsüchte imaginiert, mit Männern, in die Hoffmann mal unglücklich verliebt war. Und das funktioniert hervorragend, gerade weil es sich nicht in der Zurschaustellung eigener Befindlichkeiten erschöpft, sondern als witziges, aber keineswegs oberflächliches und bei aller Unschärfe sehr präzises Spiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit daherkommt. In dem Ausstellungsparcours gleich dahinter kommt dann ein Video, das klassische Küsse aus Hollywood aneinanderschneidet, Richard Gere und Julia Roberts und Kevin Costner und Jennifer Aniston und so weiter. Das Ganze ist mit Musik unterlegt, die mit der Zeit etwas nervt. Und natürlich ist so ein Video zuallererst und vor allem ein großes Ratespiel für die BesucherInnen. Aber es ist eben doch ein Spiegel für sie.
Auch die schöne Projektion „Alle Lust will Ewigkeit“ arbeitet mit Wunschbildern, in diesem Falle solchen, die an lange Traditionen anknüpfen – und schnell von selbst verblassen, wenn Hoffmann nach ihnen greift. Noch besser, weil: noch narrativer, anregender ist aber „Aller Anfang“, eine Arbeit, die von – unvollendeten – Postkarten ausgeht, etwa einer an das „Liebe Fräulein Schulz!“, aus Genf. Leider ist nicht alles, was hier zu sehen ist, gleichermaßen gut. Manches, etwa ein gegenüber der GAK, an der Schlachte vertäutes Ruderboot namens „Achim“ erschöpft sich im schnellen, aber nichtssagenden Effekt. Gut, dass die Ausstellung mit anderem wirklich glänzen kann.
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