HAMBURGER SZENE VON MAXIMILIAN PROBST: Die Höchststrafe
Die Grausamkeit von Kindern ist nahezu grenzenlos. Sagt man ihnen, kommt mal rüber, laufen sie weg, sagt man ihnen, seid mal still, werden sie erst richtig laut, und sagt man ihnen, jetzt ist wirklich Schluss, na: dann geht’s erst rund. Irgendwann sind die Erwachsenen mit ihrem Latein am Ende und kommen mit Sanktionen: „Ich zähle jetzt bis drei, und wenn dann nicht …“
Auch ich habe es auf diese Weise versucht, wobei die Strafe prompt auf den Fuß folgte. Denn kaum beginne ich zu zählen, fällt mir ein Kleiner ins Wort und sagt stolz, er könne auch zählen.
„Sehr gut, ich weiß“, sage ich, um den Jungen nicht in den Glauben zu setzen, es mir beweisen zu müssen.
Er tut es trotzdem. 1, 2, 3 – „Super“, sage ich.
10, 20, 30 – „Ist doch gut“, sage ich.
60, 70, 80, 90 – „Und zum Schluss: Hundert.“
200, 300, 400 – „Schon gut, schon gut.“
800, 900, 1.000 – „Jetzt reicht’s aber.“
2.000, 3.000, 4.000 – „Nun mach mal halblang.“
100.000, 200.000 – ich sage gar nichts mehr.
Zwei Millionen, drei Millionen – ich starre stumpf vor mich hin.
Hundert Millionen, Tausend Millionen …
Irgendwann sagt er: Unendlich.
Und ich: „Endlich“.
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