KNAST, BANANENLAGER, TECHNO-LADEN, KUNSTORT: Ein Bunker-Leben
VON HELMUT HÖGE
In „Liebe im Exil“, den Erinnerungen von Edith Anderson, der amerikanischen Ehefrau des ersten Cheflektors des „Aufbau“-Verlags Max Schroeder, ist von einem Würfel in der Albrechtstraße Ecke Reinhardstraße die Rede. Die Autorin erwähnt ihn im Zusammenhang mit der Pflegetochter von Hertha und Noel Field. Nachdem man das Ehepaar 1949 verhaftet hatte, wurde ihre Pflegetochter Erica „von zwei Männern psychisch gefoltert in einem kleinen Gefängnis, an dem Max und ich auf unserem Weg ins Deutsche Theater oft vorbeikamen. Es hatte Sehschlitze anstelle von Fenstern und verrottete Metalltüren, die den Eindruck erweckten, als könnten sie nur mit Dynamit aufgesprengt werden.“
Bei diesem 18 Meter hohen Gefängnis-Würfel mit 120 Räumen auf einer Grundfläche von 1.000 Quadratmetern handelt es sich um einen Hochbunker, den die Nazis 1943 von Zwangsarbeitern errichten ließen. Unweit vom Bahnhof Friedrichstraße gelegen sollte er bis zu 2.500 Reisenden Schutz vor den Angriffen der Royal Air Force bieten. Deren Flugzeuge hatten zuvor das Gelände für den nach dem Preußenprinz „Friedrich Karl“ dann benannten Bunker freigebombt.
Hier wird gefeiert
Ab 1945 diente er der Roten Armee als Gefängnis für Nazis, 1950 übernahm ihn das DDR-Ministerium für Staatssicherheit als erste U-Haftanstalt. Ab 1957 diente er dem VEB Obst- und Gemüsekombinat als Lager für Südfrüchte, weswegen man ihn „Bananenbunker“ nannte. 1992 mietete ihn der Westberliner Philosoph und Latex-Künstler Werner Vollert, der zuvor in Neukölln bei der US-Firma „Bally“ neue Flipper entworfen hatte. Er machte aus dem Würfel einen „Technobunker“, der bald so gut lief, dass Vollert zum einen noch eine Techno-Boutique eröffnete und zum anderen aus den „Snax“-Bunkerveranstaltungen die Betreiber der Clubs Ostkreuz und Berghain hervorgingen.
Berühmt wurde sein „Technobunker“ auch durch eine junge Angestellte, die dort nebenbei Ecstacy verkaufte und 1998 – unter dem Pseudonym „Nancy von Bunker“ – in einem Buch mit dem Titel „Die Tickerlady“ darüber berichtete. In den Jahren davor hatte es immer wieder Rauschgift-Razzien in diesem „weltwichtigsten Gabbatempel“ gegeben, wie Jörg Sundermeier den Bunker nannte. Er bezeichnet die Geständnisse der „Pillenverkäuferin“ als den „wohl durchgeknalltesten Text der Raveliteratur“: „Ihr Buch erzählt den Rave – unfreiwillig komisch – vom Ende her, vom Tod des Bunkers“. Gleich zu Beginn heißt es: „Der Bunker war der einzige Ort, an dem ich sein wollte. Der Traum vom Glück der Freiheit war gefangen in diesen Mauern“ (die zwei Meter dick waren). Sundermeier spielt ihren Trivialtext gegen die Hochtechno-Literatur von Rainald Goetz aus, während die „Tickerlady“ ihren Bunker gegen den Technoclub E-Werk ins Feld führte.
Identität festgestellt
Aus Angst vor der Rauschgiftfahndung war sie während ihrer Dealerei immer paranoider geworden und schließlich, „um endlich Ruhe zu haben“, von einer Brücke in die Spree gesprungen. Sie konnte jedoch gerettet werden. Anhand der Schilderung dieses Selbstmordversuchs in ihrem Buch gelang es dann allerdings der Polizei, ihre Identität festzustellen, woraufhin man sie 2002 wegen Drogenhandel in 20 Fällen vor Gericht stellte. Sie bekam eine Bewährungsstrafe.
Werner Vollert hatte bereits 1996 nach einer letzten Razzia seinen „Technobunker“ schließen müssen. Aus Protest dagegen startete alljährlich die Fuckparade vor dem Kriegsüberbleibsel. Vollert tat sich 2001 mit dem Chefredakteur des Tip zusammen, einem ausgewiesenen Scientology-Experten, und gründete mit ihm die Firma Formblitz – ein Download-Portal für Verträge, Vorlagen und Ratgeber. Dieser erfolgreichen Unternehmensgründung folgten zahlreiche weitere. Wikipedia nennt Vollert einen „Business Angel“, weil er auch Existenzgründer mit Kapital unterstützt.
Jetzt viel Kunst
Den Bunker hatte 2001 zunächst die „Nippon Development Corporation“ erworben. Sie verkaufte ihn 2003 an den Wuppertaler Werbeunternehmer Christian Boros, der sich ein Penthouse auf das Bunkerdach setzen und die Innenräume von 120 auf 80 reduzieren ließ, um darin seine umfangreiche Kunstsammlung unterzubringen. Man spricht nun von einem „Kunstbunker“. Aber auch diese Nutzung wird der unkaputtbare Stahlbeton-„Würfel“ wohl überdauern.
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