KOMMENTAR VON SUSANNE KNAUL ZUR ENTWICKLUNG IM NAHEN OSTEN: Die Hamas rollt für Israels Hardliner den roten Teppich aus
Der Konflikt im Nahen Osten eskaliert. Mit den Dutzenden Raketen, die die Hamas aus dem Gazastreifen in den vergangenen 48 Stunden bis nach Tel Aviv und Jerusalem abschoss, rollte sie für die mehreren zehntausend israelischen Soldaten, die vor den Toren Gazas auf das Kommando zum Angriff warten, einen roten Teppich aus. Die palästinensischen Islamisten hatten die Chance, eine Eskalation abzuwehren, wären sie nur auf das Angebot Israels eingegangen, Ruhe mit Ruhe zu beantworten. Sie wollten es nicht.
Über die Motive der Hamas, gerade jetzt erneut die Konfrontation anzuheizen, lässt sich spekulieren. Vielleicht ist es die Solidarität mit den Kampfgenossen im Westjordanland, die Israel jüngst zu Hunderten hinter Gitter schickte, oder die Frustration über die marode Wirtschaftslage im Gazastreifen. Vielleicht will sich die Hamas auch gegen die wachsende Opposition noch radikalerer Kräfte im eigenen Lagere behaupten. Einen Grund, Israel anzugreifen, findet man in Gaza immer. Dass der eigenen Bevölkerung dabei ein grausamer Blutzoll abverlangt wird, nehmen die Islamisten dabei billigend in Kauf.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist viel vorzuwerfen, seine kurzsichtige Siedlungspolitik steht ganz oben auf einer langen Liste. Ein Kriegstreiber ist Netanjahu aber nicht. Alle seine Vorgänger, inklusive Schimon Peres, Israels scheidender Präsident und Friedensnobelpreisträger, waren schneller bereit, die Armee in den Einsatz zu kommandieren, als der heutige Regierungschef. Das massive Truppenaufgebot von 40.000 israelischen Reservisten, die sich zum Kampf in Gaza bereitmachen, muss nicht automatisch heißen, dass es tatsächlich zum Einsatz kommt. Auch vor zwei Jahren warteten Tausende Soldaten gut eine Woche lang in der Grenzregion zum palästinensischen Küstenstreifen und zogen dann wieder ab.
Premierminister Netanjahu steht unter dem Druck der Israelis, die sich wünschen, er möge das leidige Problem der Hamas-Raketen ein für allemal aus der Welt schaffen. Das ist zwar verständlich, bleibt aber eine Illusion. Niemand sollte glauben, dass moderatere Kräfte das Vakuum füllen werden, sollte es Israel tatsächlich gelingen, die Hamas im Gazastreifen in die Knie zu zwingen. Das Gegenteil wäre der Fall. Die Hamas ist das kleinere Übel.
➤ Schwerpunkt SEITE 2, 3
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen