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STADTUMBAU MADE IN LONDONHochgeklappte Bürgersteige

TRENDS UND DEMUT

JULIA GROSSE

Kürzlich komme ich im vornehmen Londoner Stadtteil South Kensington aus dem Schlund der U-Bahn und lande inmitten einer fetten Baustelle. Gigantischer, meterlanger, aufgerissener Asphalt bis hoch zum Hyde Park. Wird aus dieser bisher recht intakten Straße eine noch intaktere Straße? Und wieso kostet das Ganze mehrere Millionen Pfund? Weil hier ein Stück Verkehrsrevolution stattfindet! Die Stadtverwaltung hat Großes vor, sie will diese Straße zur „am besten erreichbaren Kulturdestination der Welt“ machen. Mit feinem Granit, made in China.

Londons „Exhibition Road“ verbindet South Kensingtons Tube-Station mit dem Hyde Park, hier liegen das Natural History-, das Science- und das Victoria & Albert Museum, das Ismaili Centre, Goethe-Institut und Imperial College. Bisher quetschten sich Tausende Touristen an den Wochenenden auf den Bürgersteigen und stauten sich die Ferraris, Taxen und Range Rover mit Abu-Dhabi-Kennzeichen auf der engen Straße. Nun aber soll aus der Exhibition Road eine riesige Fußgängerzone werden. Fußgängerzonen sind eine absolute Rarität in London und auf dieser wird es eine kleine Einschränkung geben: Autos dürfen auch drauf. Also doch eine Straße, nur ohne Bürgersteige.

In Zukunft soll sich hier alles nur noch auf einer Ebene abspielen, ein schicker Parcours, auf dem Mann und Maus, Frau und Fuchs, Mercedes und Mountainbike gemeinsam und in Harmonie flanieren können. Willkommen im 19. Jahrhundert! Mit dem einzigen Unterschied, dass die Fußgänger heute nicht mehr bis zu ihren Fesseln in der Scheiße der Kutschenpferde stecken. Angst haben, überrollt zu werden, müssen sie allerdings ähnlich konkret wie ihre Vorfahren. Auf der neuen Straße soll es ganz locker und demokratisch zugehen. Niemand hat hier per se Vorfahrt, man wird sich schon einigen. Irgendwie. Fahrzeuge müssen zwar Rücksicht nehmen und dürfen höchstens 30 km/h schnell sein, doch es gibt keine Ampeln, die sie zum Stehen zwingen. Eine unangenehme Vorstellung, denn in London muss man als Fußgänger schon bei einer grünen Ampel fit genug für einen Spontansprint sein: Sobald das Grün erloschen ist, steigen Pkw-Fahrer fanatisch aufs Gaspedal, als befänden sie sich im letzten Level eines Ego-Shooter-Spiels. Auf dem Granit wird es eine ribbelige Markierung geben, damit Blinde und Kinder taktil erahnen, wo sie sich befinden. Oder auch nicht. Diverse soziale Vereine ringen wegen des Projekts jedenfalls seit Monaten nach Luft. Architekten denken über derart freie Verkehrsstrukturen natürlich schon lange nach.

Digitaler Asphalt

Von „intelligenten Straßen“ spricht beispielsweise der Kopenhagener Bjarke Ingels, allerdings sind diese Straßen der Zukunft auch nur so clever, weil die Autos, die auf ihnen gleiten, noch viel cleverer sind: fahrerlos und ausgestattet mit einer Software, die alles und jeden emotionslos im Blick hat. Auf der Straße läge ein dünner digitaler Belag, der mit den Fahrzeugen kommuniziert und dafür sorgt, dass ein perfektes Durcheinander aus Mensch, Tier und Motoren unblutig abläuft.

Die Vorstellung, dass dieses Modell der Zukunft bereits pünktlich zur Olympiade im nächsten Jahr auf Londons Museumsmeile umgesetzt wird, allerdings ohne Hightech-Straßenbelag, dafür aber mit gewohnt bis zum Anschlag gestressten Großstädtern hinter ihren Lenkrädern, ist beängstigend. Die Exhibition Road will das am besten erreichbare Kulturziel der Welt werden. So wird es eher das gefährlichste.

Julia Grosse ist Kulturreporterin der taz in London

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