Von der Berlinale-Doku „Big Eden“ nonstop zur Dresdner Antifa-Demo: David Hasselhoff oder die aktive Verteidigung der Freiheit
VON JURI STERNEBURG
Eine Straßenbahn irgendwo in Berlin. Soeben hat der Tramfahrer im Lautsprecher durchgesagt, dass er erst weiterfährt, wenn „die junge Dame die Musik leiser stellt“. Der jungen Dame ist es jedoch schwer möglich, dieser Aufforderung nachzukommen, hat sie doch bekanntermaßen ihren MP3-Player bis zum Anschlag aufgedreht. Die riesigen Kopfhörer vibrieren im Takt. Dem Fahrer scheint dieser absurde Umstand nicht unbedingt aufzufallen, erneut krächzt er seine Forderung durch die Tram, worüber die erfahrenen BVG-Gäste müde lächeln.
Ich habe es einigermaßen eilig, meine Verabredung wartet vor dem Kino International. It’s Berlinale-Time, also lege ich den Rest des Weges zu Fuß zurück. Der erstbeste Film soll es sein. Bevor man sich durch die Unmassen von Rezensionen wühlt, ist es wesentlich interessanter, sich von den Ereignissen einfach treiben zu lassen. Das Schicksal hat die Qual der Wahl. So kommt es genau, wie es kommen musste, und wir landen in „The big Eden“, einer durchaus amüsanten Dokumentation über die Kunstfigur Rolf Eden.
Ich danke dem Berlinale-Gott, dass er uns nicht in einen dieser manchmal etwas langatmigen Filme über stumme slawische Bergziegen mit Beziehungsproblemen geleitet hat, und meine Begleitung verhöhnt mich für meine vermeintliche Oberflächlichkeit. Mit einem um 180 Grad gewendeten Bild von Rolf Eden verlassen wir das Kino, trällern den Schlager des Films: „Geld ist nicht wichtig, aber scheijn musse sein!“ und bereiten uns gedanklich auf ein locker flockiges Wochenende mit David Hasselhoff im Tempodrom vor. Dass es dazu jeder Menge Alkohols bedarf, muss selbst dem größten „Knight Rider“-Fan aufgehen.
In den Morgenstunden des jungen Samstags dämmert es uns: Warum eigentlich „I’ve been looking for freedom“ mitgrölen, wenn man auch einfach spontan nach Dresden fahren könnte, um die Freiheit aktiv zu verteidigen. Es ist relativ schnell beschlossen: David H. muss bis zum nächsten Comebackversuch warten, zumindest uns wird er an diesem Sonntag nicht zu Gesicht bekommen.
„Nicht zu Gesicht bekommen“ wird auch als übergeordnetes Motto für Dresden festgelegt. Im Zug werden sämtliche, im freien Handel erwerbbare Koffeinprodukte verschlungen. Ei- und Schinkenbrötchen erinnern zwar an den „Bommerlunder“-Song der Toten Hosen, verscheuchen allerdings auch die Nebelschwaden im Kopf.
In Dresden führt die Polizei die Massen vor den Bahnhof, ein Beamter fragt: „Links oder rechts?“ Wie er das genau meint, möchte ich wissen und erkenne, dass es sich die Polizei dieses Jahr besonders leicht gemacht hat mit der Unterscheidung der Lager, denn er antwortet: „Sowohl als auch. Linke nach links, Rechte nach rechts!“ Was für ein unglaublich kluger Einfall der Polizeiführung, die Beamten nicht auch noch mit verwirrenden Befehlen wie „Linke nach rechts und andersherum“ zu verunsichern. F. Scott Fitzgerald war es, der behauptete: „Intelligenz ist die Fähigkeit, zwei einander widersprechende Gedanken gleichzeitig im Kopf zu haben“, und so ist es nur vollkommen logisch, dass friedliche und weniger friedliche Demonstranten Hand in Hand arbeiten, um den angeblich „größten Neonaziaufmarsch Europas“ zu verhindern.
Dieser verkommt dann auch zu einer Ansammlung von Losern. Am Abend wird es in den Dresdner Kneipen Versteigerungen von „Thor Steinar“-Jacken geben, natürlich für Solizwecke. Gerne überlässt man das kürzlich eroberte Schlachtfeld immer wieder den Bürgerlichen um Wolfgang Thierse und zieht weiter, während der Fanmob „Thierse blockier’se!“ in die zahlreichen Kameras ruft und sich von der Polizei drangsalieren lässt. Ich sag’s doch immer wieder: Einfach treiben lassen, außer von der Polizei!
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