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Punkrock vs. Schöner Wohnen

HAUSBESUCH Freunde staunen noch immer, dass es mit den beiden geklappt hat. Bei Isabell und Philip in Freiburg

VON LENA MÜSSIGMANN (TEXT) UND STEFAN PANGRITZ (FOTOS)

Freiburg im Breisgau, eine ruhige Wohnstraße im Stadtviertel Wiehre, rechts und links stehen die hohen, schlanken Stadthäuser Spalier. Zu Besuch bei Isabell Weigand (28), Philip Weiß (35) und Johanna (11 Monate).

Draußen: Die Fassade gepflegt, die Fenster mit rotem Sandstein eingefasst. Hinter schmiedeeisernem Zaun blüht ein Busch leuchtend pink. Die dunkle Holztür öffnet sich surrend.

Drin: Treppen, Treppen, Treppen. Bis zu einer Tür im vierten Stock. Dahinter wieder Treppen. Durch den schmalen Aufgang keucht man die letzten Stufen hinauf in die Dachgeschosswohnung. Hier wohnen seit acht Jahren Isabell und Philip in zweieinhalb Zimmern, seit elf Monaten mit ihrer Tochter Johanna. Die Wände sind in Flur und Küche grün, im Kinderzimmer gelb, im Bad pink. Philip trägt rot-schwarz gestreifte Socken. Auf dem Tisch liegt eine rot-weiß gepunktete Wachsdecke. Drauf steht ein Blech mit ziemlich plattem Bananen-Schoko-Kuchen, den Philip gebacken hat („irgendwie nichts geworden mit dem Ei-Ersatz“). Die Familie macht einen veganen Monat. Normalerweise leben sie vegetarisch. „Ich mach’s wegen dem Klima, nicht unbedingt wegen den Tieren“, sagt Isabell.

Wer macht was? Isabell studiert Medizin im zehnten Semester: „Es war ausgemacht, dass ich Johanna im Studium bekomme.“ Nach zwei Monaten Elternzeit ist sie wieder an die Uni gegangen. Philip ist Krankenpfleger für Psychiatrie, er übernimmt den Rest der Elternzeit: „Isabell würde als Studentin nicht viel Geld bekommen.“ Wenn Johanna ab September in die Kita geht, wird er wieder arbeiten – nachmittags und nachts in der Klinik. Bis dahin genießen es die drei, viel Zeit zusammen zu verbringen. Seltener in der Dachgeschosswohnung („schon echt heiß“), öfter am See, dem Moosweiher.

Wer denkt was? Johanna, „das Kind“, ist tagsüber ein Sonnenschein – aber: „Nachts soll sie endlich mal durchschlafen. Bisher ist das leider ausgeblieben“, sagt Isabell. Ansonsten beschäftigt sie der vegane Monat. Am Uni-Kiosk gibt es kaum was Veganes. Isabell vermisst den Energie liefernden Schokoriegel am Nachmittag, der jetzt nicht drin ist. „Ich halt’s aber schon durch, das muss dann!“ Auch für Philip bringt das vegane Essen zu viel Aufwand mit sich („die Zeit ist’s mir nicht wert“). Beibehalten will Isabell die Hafermilch – „find ich eigentlich voll gut“. Sie brauchen mehr als einen Liter pro Tag. „Weil wir keinen Kaffee trinken, sondern Kaba.“

Philip: Ist in Emmendingen aufgewachsen, 200 Meter vom Zentrum für Psychiatrie entfernt. Sein Schulweg führte übers Klinikgelände. „Als ich klein war, hab ich Patienten auf Station gebracht. Zum Beispiel eine verwirrte alte Dame. Ich hab gesagt: Kommen Sie, wir fragen mal am Empfang nach.“ Isabell sagt über ihn: „Ich kenne niemanden, der so fröhlich zur Arbeit geht.“ Zuletzt war er auf der Station für Alkohol- und Drogenentzug. Belastend empfindet er das nicht. „Wenn ich abgestempelt habe, ist die Sache erledigt“, sagt er. Musik ist ihm wichtig, er sammelt Schallplatten („breit gefächert, aber vor allem Punkrock“). Alle drei bis vier Wochen muss er auf einem Konzert stehen, im Freiburger Walfisch, im Atlantik oder Rängtengteng. „Sonst werd ich unruhig.“

Isabell: Ist in Lienheim an der Schweizer Grenze aufgewachsen: „Meine Eltern wohnen immer noch dort, ist ein sehr idyllischer Ort, direkt am Rhein.“ Nach der Realschule hat sie Arzthelferin gelernt: „Ich hab schon in der Ausbildung gemerkt, dass es das nicht war.“ Auf dem zweiten Bildungsweg hat sie das Abi nachgemacht. „Im Medizinstudium gehe ich jetzt voll auf.“ Mittlerweile besteht ihr Leben aus Kind, Philip und Studium. „Es war immer mein Ziel, eine Familie zu gründen. Es gibt bei mir nichts, was ich wegen Johanna nicht machen kann und jetzt vermisse.“ Sie wünschen sich noch mehr Kinder. Isabell könnte sich drei vorstellen. Philip sagt: „Ich hab keine Grenze im Kopf.“

Das erste Date: „Liebe auf den ersten Blick“, sagt Isabell. Philip war in ihrer WG in Kreuzlingen am Bodensee zu Besuch. „Als er reinkam, hab ich schon so gedacht: Oh, krass.“ Philip probte mit einem ihrer Mitbewohner für eine gemeinsame Band. Am Abend ist die WG gemeinsam ausgegangen. Eineinhalb Monate später waren die beiden ein Paar – „bei mir war das ein schleichender Prozess“, sagt Philip. Dann ging alles schnell: Nach fünf Monaten ist Isabell vom Bodensee zu Philip in sein Freiburger WG-Zimmer gezogen. Weitere vier Monate später haben sie die gemeinsame Wohnung gefunden. Weil sie sehr unterschiedlich sind (Radio vs. Punkrock; Ordnung vs. Chaos; Schöner Wohnen vs. Bandposter) haben Freunde daran gezweifelt, ob das was wird. Jetzt fotografieren sie die staunenden Gesichter mit ihrer Polaroid-Kamera, wenn jemand zu Besuch kommt.

Heiraten? Isabell möchte heiraten („Dieses Versprechen würde es für mich noch mal fester machen“), Philip ist es nicht so wichtig („Das Kind verbindet uns mehr als ein Trauschein“). Falls es doch dazu kommt, würde Philip gern in Las Vegas heiraten, Isabell aber am Lagerfeuer. Dazu sagt Philip: „Entscheiden darf sie, ihr ist es wichtiger.“

Der Alltag: Die beiden stehen mit Johanna um 8 Uhr auf. Philips Tagesablauf richtet sich nach den Essenszeiten des Babys. Bei Isabell bestimmt die Uni den Tag. Im rot-weiß-gepunkteten Wachsstoff, aus dem die Tischdecke gemacht ist, hat Isabell auch ihren Kalender eingeschlagen. Sie managt alle Termine. „Auch seine“, sagt sie. „Manchmal komm ich mir vor wie eine wandelnde Maschine, die alles überblicken soll.“ Ist der Tag vorbei, reißt sie die Seite aus dem Kalender raus – „er wird dünner, je weiter das Jahr fortschreitet. Das ist ein gutes Gefühl.“ Den Haushalt erledigt Philip – „das war ein harter Kampf, wir haben unterschiedliche Schwellen, ab wann einen Unordnung stört“, sagt er. Isabell ist hart geblieben. Philip verbringt mehr Zeit zu Hause. „Ich finde, er muss dafür verantwortlich sein.“ Beide grinsen. Das Problem scheint gelöst zu sein.

Wie finden Sie Merkel? Isabell (grün) hält nicht viel von ihr – „aber es könnte auch schlechter sein“. Philip (links) sagt: „Ich werf ihr nichts vor. Sie macht gute Klientelpolitik für konservative Mittel- bis Oberschicht. Das ist offenbar das, was Deutschland will.“

Wann sind Sie glücklich? Glück ist für Isabell: „Ein Mittag am Baggersee, Grillen und Zeithaben.“ Philip stimmt zu. Und: „Glücklich bin ich auch dienstags beim Männerabend.“ Mal Kneipentour, mal Badminton spielen. Immer: Bier trinken.

Nächstes Mal treffen wir Jan und Hakim in ihrer Berliner Fahrradwerkstatt. Sie möchten auch einmal besucht werden? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de

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