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Hau’ den Hahn

Im schleswig-holsteinischen Heide feiert man hartnäckig „Hohnbeer“: Hahnenfest. Wo früher lebende Hähne im Fass steckten, sind es heute nur noch gemalte. Als Symbol für die befreite Freiheit taugen sie genauso. Bedrohlich ist dagegen der Nachwuchsmangel – und der Frauenandrang

„Früher gab es zehn Leute für ein Amt, heute muss man reden und tun, dass man alles besetzt kriegt“

von ESTHER GEISSLINGER

Hähne. Sie recken stolz die Gips- oder Holzköpfe, krähen von Bildern und Fotos. Mühelos beherrschen sie die Gaststube des Hahnbeerkrogs in Heide. Sogar auf der Stuhllehne hinter Uwe Eggers prangt ein Hahn, denn Eggers ist der Öllersmann.

Das ist für die Süderecke in der Dithmarscher Kreisstadt Heide das, was Horst Köhler für die Bundesrepublik ist, erklärt Jürgen Hansen, und wenn Eggers Köhler ist, ist Hansen Angela Merkel: der Chef vom Ganzen. Allerdings nicht dauernd, sondern nur einmal im Jahr, im Februar, wenn die Menschen in Heide „Hohnbeer“ feiern.

Das plattdeutsche Wort bedeutet „Hahnenfest“, weil in früheren Zeiten ein Hahn eine wichtige Rolle dabei spielte: Das Tier wurde in ein Fass gesteckt, und alle Umstehenden durften draufschlagen – auf die Tonne hauen, ganz wörtlich. Das dauerte so lange, bis das Fass zerbrach und der Hahn frei kam: „Wenn er noch lebte“, sagt Hansen trocken. Der Hahn stehe für die Freiheit, und die Freiheit sollte befreit werden. Dass die Freiheit bei ihrer Befreiung meist zugrunde ging – naja, so war das damals, ist eben altes Brauchtum.

Heute gibt es nur noch gemalte und geschnitzte Hähne, die auf der Tonne stolz durch die Stadt getragen werden. Früher beendete das Hohnbeer-Spektakel einen wichtigen Tag im Leben der Bauern: Sie rechneten Schulden und Gewinne ab, und wenn es Streit gab in der Gemeinde, wurde er an diesem Tag beendet. Die Bauern zogen sich schöne Kleidung an, schwarze Anzüge und hohe Hüte, so wie es sonst nur die Herren taten. Die Tracht ist geblieben, die feierliche Stimmung, die Umzüge, die Rituale.

Im Zentrum von Heide liegt ein großer Platz, der größte unbebaute Marktplatz Deutschlands. Die angrenzenden Wohnviertel sind in drei Ecken unterteilt – „die vierte ist irgendwann in den anderen aufgegangen“, erklärt Hansen – und jede „Ecke“ veranstaltet ihren Umzug. Die Süderecke, deren Öllersmann Uwe Eggers ist, ist die kleinste der drei und die einzige, die keinen Verein gebildet hat. Jeder Mann des Viertels darf an den Sitzungen teilnehmen, und inzwischen werden auch einige Fremde aufgenommen, denn es wird immer schwerer, alle Posten zu besetzen – die Jüngeren ziehen weg aus Heide.

„Früher gab es zehn Leute für ein Amt, heute muss man reden und tun, dass man alles besetzt kriegt“, sagt der 67-jährige Eggers. Hansen ist 58. Den Älteren ist heute am wichtigsten, den Brauch und vor allem das Plattdeutsche zu bewahren. Ob das klappt? Schon ist es schwierig geworden, einen Schriftführer zu finden, der Protokolle „up platt“ verfasst.

Seit 166 Jahren wird Hohnbeer gefeiert – 1841 belebte der Heider Peter Bur das Fest neu, wie alt es tatsächlich ist, weiß keiner genau. „Das 200. Jahr schaffen wir bestimmt noch“, sagt Eggers. Aber von Jahr zu Jahr wird es schwerer, auch mit dem Geld: Früher spendete jeder Kaufmann, jedes Geschäft der „Ecke“ etwas für den Umzug. Die heutigen Läden rund um den Markt gehören zu großen Ketten, sie interessiert der Umsatz, nicht altes Brauchtum.

Eggers sieht allerdings einen Lichtblick: Bei einer der Sitzungen sei ein junger Mann zu ihm gekommen und habe auf den Stuhl mit dem Hahn gezeigt. „Da will ich später mal sitzen“, habe er gesagt, berichtet Eggers und strahlt: Sie ist nicht ganz weg, die Jugend.

Einen Vorteil haben die von der Süderecke: Sie feiern im eigenen Stammlokal, dem Hahnbeerkrog. Dabei ist die Gaststube schon lange geschlossen, der Wirt, Friedemann Braun, bewahrt das Haus nur für die Hohnbeer-Leute. An den Wänden hängen verblichene Fotos der früheren Vorstände, auf den Sofas liegen Kissen mit Kniff in der Mitte und selbst am Zapfhahn hängt ein Hahn. „Was haben wir hier schon gefeiert“, sagt Jürgen Hansen und klingt ein bisschen wehmütig.

Hohnbeer ist ein Männerfest, Frauen dürfen nur zugucken. Aber die Front bröckelt: Vor einigen Jahren schlichen sich „Frunslüüd“ auf das Fest der Kranzbinder, inzwischen sind sie dort offiziell zugelassen: „Da wird sogar getanzt“, sagt Eggers. „Über alle Bänke weg.“ Und auch das Kaffeetrinken am Hohnbeertag selbst ist nicht frauenfrei geblieben. „Wir haben hier ein Handicap, eine Bürgermeisterin“, erklärt Hansen und scheint gar nicht zu merken, was ihm da gerade rausgerutscht ist. Die Politikerin gehört qua Amt zum Hohnbeer, außerdem hat sie dafür gesorgt, dass die Süderecke Spendenbescheinigungen ausstellen darf, obwohl sie kein Verein ist. „Und weil die Bürgermeisterin kommen durfte, sitzen jetzt auch andere Frauen auf der Empore.“

Aber dass Frauen richtig aufgenommen werden – nein, das ginge dann doch zu weit. „Wann eine Frau eine Fahne tragen darf? Also, wir sind dann nicht mehr dabei“, sagt Eggers überzeugt. Geht ja schließlich um altes Brauchtum.

Über den Hohnbeer-Brauch haben die Hamburger Autorinnen Margot Neuber-Maric und Gisela Tuchtenhagen den Dokumentarfilm „Der Wirt, die Kneipe und das Fest“ gedreht, der demnächst durch norddeutsche Kinos touren wird. Fest steht, dass er auf dem Festival „Augenweide“ (11. bis 13. Mai) im Kommunalen Kino Kiel läuft.

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