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Todesschüsse in Brandenburg

In der Kleinstadt Nauen, 20 Kilometer vor Berlin, erschießt ein Polizist einen jungen Mann. Dieser hatte zuvor mit zwei Begleitern randaliert. Laut der Staatsanwaltschaft in Potsdam gibt es Hinweise, dass der Schütze in Notwehr handelte

AUS NAUEN UND BERLIN DANIEL SCHULZ, ROMAN SCHMIDSEDER UND PLUTONIA PLARRE

Bahnhof Nauen, gestern Mittag: Die Polizei hat einen Teil des Vorplatzes abgeriegelt. Ein rot-weißes Absperrband markiert den Ort des tödlichen Schusses, zwei Kegel die Position der Leiche. Vor Ort sind noch eine Hand voll Ermittler, die mit Metalldetektoren nach Spuren der tödlichen Projektile suchen.

An diesem Ort hat ein 24-jähriger Polizist mit seiner Dienstwaffe am Abend zuvor einen 28-jähriger Mann erschossen. „Es gibt Hinweise darauf, dass der Beamte von dem Mann und seinen Begleitern angegriffen wurde“, sagte Wilfried Lehmann von der Staatsanwaltschaft Potsdam der taz. Details konnte er jedoch nicht nennen. Einigermaßen sicher ist nur, was vor den Schüssen geschah: Mit dem Regionalexpress der Linie 4 fuhr der Polizist in Uniform nach seinem Streifendienst in Berlin nach Nauen. Dort kam er kurz vor 21 Uhr an. Aus Polizeikreisen hieß es gestern, der Getötete und seine beiden Begleiter hätten ebenfalls im Zug gesessen. Als der Beamte den Bahnhof verließ, sah er, wie die drei jungen Männer mit aus dem Zug gestohlenen Notfallhämmern drei Bushaltestellen zertrümmerten. Der Polizist stellte sie zur Rede, die Randalierer flüchteten, und er verfolgte sie. Laut Staatsanwaltschaft sollen die drei Fliehenden versucht haben sich zu verstecken. Was danach genau geschah und ob der Polizist wirklich in Notwehr handelte, ist unklar. Aus Sicherheitskreisen verlautete indes, der Beamte sei während des Vorfalls über sein Handy mit der Notrufzentrale der Polizei in Potsdam verbunden gewesen. Aus dem Mitschnitt ergebe sich, dass der Beamte in Bedrängnis war, als er schoss. Offiziell bestätigt wurde das gestern nicht.

Drei Schüsse wollen Menschen gehört haben, die nahe dem Bahnhof wohnen. „Ich dachte erst, es sei ein Reifen geplatzt“, sagt eine Frau, deren Haus neben dem Tatort steht. Geschrei oder Kampfgeräusche haben sie und andere Anwohner zuvor nicht vernommen. Wer der Getötete war, wussten gestern weder die Potsdamer Staatsanwälte noch die Nauener Bürger. Seine 20 und 24 Jahre alten Begleiter wurden verhört und wieder auf freien Fuß gesetzt. „Was die Tat betrifft, sind sie Zeugen, daher besteht keine Fluchtgefahr“, sagte Staatsanwalt Lehmann.

Der Todesschütze ist inzwischen in Freiheit und erhält psychologische Betreuung. Er hat die Aussage verweigert und bekommt von seiner Gewerkschaft GdP einen Anwalt gestellt. „Wir raten in solchen Fällen dazu, die Aussage zu verweigern“, sagt Berlins GdP-Chef Eberhard Schönberg, „die Beamten stehen unter Schock und könnten falsche Aussagen machen.“

Der Polizeiexperte Norbert Pütter vom Institut für Öffentliche Sicherheit und Bürgerrechte sagte, der Fall passe in das Muster deutscher Todesschüsse. „Die meisten werden in Situationen abgegeben, in denen keine Waffe im Spiel sein sollte“, sagte Pütter. Eigentlich seien tödliche Schüsse nur in besonderen Fällen, beispielsweise bei der Rettung einer Geisel, gestattet. „In Deutschland allerdings lösen sich die meisten dieser Schüsse in Situationen wie einem Nachbarstreit oder eben wenn jemand randaliert.“ Es dränge sich dann oft der Eindruck auf, die Justiz versuche die Beamten durch „Strafentschuldigungsklauseln“ zu schützen.

Notwehr ist laut Pütter eine der verwendeten Erklärungen, doch nicht die einzige. Ein Beispiel: Ende der 90er-Jahre erschossen Thüringer Zivilpolizisten einen Wanderer aus Köln, den sie für einen gesuchten Mörder hielten. Das Verfahren wurde eingestellt. Die Richter begründeten dies mit dem Fahndungsstress der Beamten.

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