: Macht und Marotte
■ Metropolis: Die Super-8-Filmer von „All Nizo“ und ihre Gäste präsentieren wunderbare Laienfilme
Der Versicherungskaufmann Lutz Kayser hat sich vor eineinhalb Jahren eine Super-8-Kamera gekauft. Das klingt schrecklich unspektakulär, und tatsächlich ist der 30jährige alles andere als ein Kunst-Revoluzzer. Trotzdem hat er im vergangenen Mai mit seinem Freund Jochen Curth die All Nizo Restricted Revolution Pictures (ANRRP) gegründet, und seitdem veranstalten die beiden Open-Air-Super-8-Film-Happenings.
Ursprünglich wollten Lutz Kayser und Jochen Curth, die völlig unbedarft mit dem Filmen angefangen hatten, nur nette, kleine Streifen drehen. Ihr Erstlingswerk Cello wurde aber gleich auf dem Hamburger Kurzfilmfest gezeigt. Als sie dann merkten, daß es so gut wie keine Möglichkeit gibt, Super-8-Filme außerhalb von Wettbewerben vorzuführen, starteten sie ihr Projekt Fuck the Jury.
„Wir haben eigentlich gar nichts gegen Festivals“, erklärt dazu Lutz Kayser. Und man nimmt es dem ordentlichen jungen Mann gerne ab, daß er nicht beabsichtigt, Jury-Mitglieder zu beleidigen. Sein Ziel ist eben, „weg vom ,Höher-Schneller-Weiter' zu kommen“, und vor allem, „den Super-8-Film vor dem endgültigen Aussterben zu beschützen.“
Bei den Street-Film-Screenings im Sommer haben die All Nizo-Leute deshalb an neun Abenden ihre Leinwand irgendwo in der Stadt aufgebaut oder Super-8-Streifen einfach auf Häuserwände projiziert. „Daß Peter Greenaway die gleiche Idee gehabt hat, können wir ihm verzeihen“, bemerkt Lutz Kayser dazu in seiner trockenen Versicherungsmakler-Art. Allerdings zeichnen sich die Hamburger Veranstaltungen dadurch aus, daß Zuschauer auch eigene Werke mitbringen und vorführen können. Diese independent events sowie die Verfilmung des gesamten Drumherums ergeben das Fuck the Jury-Gesamtkunstwerk.
Wegen der jetzigen Kälte und des großen Erfolgs findet heute ein All Nizo Super-8-Kurzfilmabend im Metropolis statt. Das feste Programm besteht aus zehn Filmen und einer Dia-Reihe. Außerdem soll das Publikum möglichst zahlreich Eigenproduktionen mitbringen, die nach dem Losverfahren gezeigt werden.
Neben der einfachen Handhabung und der preiswerten Produktion fasziniert Lutz Kayser besonders die gute Verwendbarkeit der Super-8-Technik für Dokumentarzwecke. Eine seiner ersten Übungsminuten drehte er am 30. Mai 94 bei der berüchtigten Haider-Demo auf dem Gänsemarkt. Während der Polizisten-Prügeleien auf den Journalisten Oliver Neß gelang es dem Hobbyfilmer, zwei Minuten zu drehen, denn: „So eine kleine Kamera nimmt doch niemand richtig ernst“. Als die Staatsanwaltschaft ein Jahr später begann, den ,geheimnisvollen Super-8-Filmer' zu suchen, der möglicherweise über besonders wichtiges Beweismaterial verfüge, wurde es doch ernst. Lutz Kayser, der sein Probierstück nicht beschlagnahmen lassen wollte, bekam eine Menge Streß. Mittlerweile sieht er auch diese Geschichte wieder mit kaufmännischer Gelassenheit: „Da kann man mal sehen, was für ein Machtfaktor die Super-8-Kamera sein kann!“ Nele-Marie Brüdgam Heute, Metropolis, 21.15 Uhr. Filme eine Stunde vorher abgeben!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen