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Der strahlende Zipfel

Die größte Atomhalle der Welt ist fast fertig – doch nur wenn auch Müll aus dem Westen anrollt, regen sich die Vorpommern auf  ■ Aus Greifswald Reiner Metzger

Das Atom sei Arbeiter und nicht Soldat“, tönt es in einem DDR-Propaganda- Film von 1974 über die Rettung der Menschheit durch die Kernkraft. Der Streifen mit Erich Honecker und Co. vermodert nicht etwa in alten Defa-Archiven, sondern wird noch heute täglich im Informationszentrum der Energiewerke Nord (EWN) in Lubmin bei Greifswald gezeigt. Dort im äußersten nordöstlichen Zipfel der Republik entsteht gerade das Zwischenlager Nord, die weltweit größte Lagerhalle für Atommüll.

Die Betonhalle ist 20 Meter hoch und fast fertig. Die Genehmigung für die Einlagerung der ersten Brennstäbe erwarten die Betreiber noch in diesem Jahr. Allein der Lagerbereich des Gebäudes mißt laut EWN 200 mal 140 Meter, das umbaute Volumen an die 200.000 Quadratmeter – ein Vielfaches der Zwischenlagerkapazität in Gorleben.

Der Klotz liegt am malerischen Greifswalder Bodden. Kinder spielen Eishockey auf der zugefrorenen Ostsee, direkt vor dem Stacheldraht der Einfriedung der größten Atomanlage Deutschlands. Acht Reaktoren des russischen Bautyps WWER mit je 440 Megawatt Leistung sollten hier Strom für die dürstende Industrie der DDR liefern – „die Sonne in Menschenhand“, so der Propagandafilm.

Als das fünfte AKW gerade im Probebetrieb war, kam die Wende. Die westdeutsche Stromindustrie brauchte die Meiler nicht, so wurden sie abgeschaltet und später für den Abriß freigegeben. Den meisten Bewohnern Greifswalds und den Dörflern unmittelbar am Kraftwerk war das gar nicht recht. Denn der VEB Kernkraftwerke „Bruno Leuschner“ war der größte Arbeitgeber der Region. Jobs in der Industrie sind hier Mangelware. Jetzt bleibt noch das schwankende Tourismusgeschäft, ein wenig Fischerei und Landwirtschaft. Von den 1991 gut 4.000 Beschäftigten der Atomanlage sollen bis zum Jahr 2000 noch 200 bleiben.

Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, denn Greifswald ist eine Rolle im Spiel der deutschen Atomindustrie zugedacht. Schon im Spätsommer 1991 wollte der damalige PreussenElektra- Chef Hermann Krämer ein Zwischenlager auch für westdeutschen Müll am Bodden. Zunächst wurde eine Atommanager-Riege in den Osten abkommandiert. Offiziell sind die Energiewerke Nord bis heute eine Treuhand-Tochter. Dieter Rittscher, einer der Wessis und Geschäftsführer der EWN, sprach am 12. Dezember 1991 vor Betriebsräten über die Taktik: „Man muß verhandeln und möglichst viel erreichen.“

Seitdem geht es hin und her, ein Pingpong aus Bemerkungen und Dementis. Eigentlich soll im Zwischenlager Nord (ZLN) der strahlende Müll aus den abgerissenen Atommeilern nebenan gelagert werden. Außerdem sollen sich hier die Reste des 70-Megawatt-Reaktors aus Rheinsberg nördlich von Berlin stapeln. Der derzeitige offizielle Standpunkt der EWN: Es werden nicht mehr als 620 Tonnen Uran in Form abgebrannter Brennstäbe zwischengelagert. Diese Menge fiel laut EWN während des Betriebs der Reaktoren in Greifswald und Rheinsberg an.

Die „Bürgerinitiative Kernenergie Greifswald zur Förderung alternativer Energiekonzepte“ bleibt skeptisch. Denn das ZLN ist zehn Prozent größer als eigentlich nötig, erklärt ein EWN-Sprecher, weil bei Baubeginn die einzuhaltenden Strahlungs-Grenzwerte noch nicht klar gewesen seien. Und beim Packen ergebe sich noch einmal ein Spielraum von 20 Prozent, „je nachdem wie dicht man packt“. Und noch mehr Platz bleibt, wenn man von den 80 vorgesehenen Stellplätzen für Castorbehälter drei abzieht, die nach Ungarn gehen, sagt Rosemarie Poldrack, die Sprecherin der BI Kernenergie. „Außerdem sollen 10.000 Kubikmeter ins Endlager nach Morsleben gehen, die sind in der Rechnung noch mit drin. Das alles ist eine Verdummung der Leute“, meint Poldrack. Die BI sammelt deshalb Einsprüche gegen die Betriebsgenehmigung (siehe Kasten).

Die Kernkraftruinen stehen nun einmal in der Gegend, also können sie auch hier sicher eingelagert werden, meinen die meisten, wenn sie einer fragt. „Schön ist das nicht. Aber wir wurden ja alle verstrahlt hier während der DDR- Zeit“, sagt Norbert Zimmer aus dem gut 20 Kilometer entfernten Wahlendow. Der Melkermeister hat nach der Wende neu angefangen als Bauer. Seine Kühe kriegen keine Hormone und Anabolika, ein Rudel Hunde wedelt um seine wuchtige Gestalt, und in seiner Scheunentenne kräht der Hahn die Besucher an. Zimmer hat auch in der DDR mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten, sagt er. Aber demonstrieren gegen die neue Atomanlage will er nicht. „Ich bin ein Kind der DDR, 1948 geboren. Das System steckt noch in einem drin. Wir hier mucken nicht auf.“

Da haben es auch Gruppen wie „Maikäfer flieg“ schwer. Biobauern, zugezogen aus anderen Gegenden der neuen Länder und dem Westen, haben sich vor einem guten Jahr mit örtlichen Atomgegnern zusammengeschlossen. Sie versuchen die Leute mit Aktionen aufzurütteln. „Die Maikäfer-Leute sind von Haus zu Haus gegangen und haben versucht, in jedem Ort eine Initiative gegen das Lager in Lubmin zu gründen“, sagt Anne Schmitt, Biobäuerin aus Strellin bei Greifswald. „Damit sind sie fürchterlich auf die Schnauze gefallen.“ Denn die Ostvorpommern sind nicht nur an die Kernkraft gewöhnt. Fast in jeder Familie um Lubmin bekam jemand den Lohn aus dem Kernkraftwerk überwiesen. Da war die Demo von „Maikäfer flieg“ am 30. September mit 600 Leuten und einigen Treckern schon ein Erfolg. Ändern würde sich die Situation erst dann, wenn Atommüll aus dem Westen anrollen würde. Vom Bauern Norbert Zimmer bis zu Passanten in Greifswald heißt es dazu „Den Schiet aus'm Westen wollen wir hier nicht auch noch haben!“

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