: Neues vom Hexer
Krimimusik, „Raumpatrouille“ und kein Ende: Peter Thomas, Komponistenlegende und Soundpraktiker, lebt nach dem Motto: machen, machen, machen. Als nächstes will er Queen covern! Und Nirvana! Eine Homestory ■ Von Markus Heidingsfelder
Peter Thomas wohnt super. Erstens in Lugano, zweitens in St. Tropez, drittens in Kitzbühel, Tirol. Allerdings nicht in der Bezirkshauptstadt selbst, sondern ein paar Kilometer weiter draußen: Links und rechts verschneite Bergeshöhn, unten im Tal rauscht ein Bächlein, gleich nebenan, einen Steilpaß entfernt, residiert (in echt) Graf Einsiedel samt Sohnemann.
„Thomashof“ hat Peter Thomas seine Mischung aus Palast und Hütte getauft, als wir eintreten, dampft gerade das leckere Bauernmahl Sauerkrautsahnegulasch plus Kartoffelpüree auf dem Tisch. Peters Gattin Cordy, ihres Zeichens gefragte Kolumnistin und Fotografin der Hochprominenz, heißt uns willkommen. Sie hat sehr rote Lippen, sehr blondes, wunderschönes Haar, ein bezauberndes Lächeln, eine tiefe, rauhe Stimme. Ihre Füße schmücken rote Lackskistiefel.
Peter höchstselbst hatte uns vom Bahnhof abgeholt und in seinem orangefarbenen VW-Käfer durch das tiefe Kitzbüheler Tal in sein Zuhause chauffiert. Jetzt sitzt er da und speist. Andere Sachen als wir, weder Fleisch noch Brei, sondern kloßgroße Rosenkohlröschen in Wasserlauge. Der Komponist muß auf seinen Leib Rücksicht nehmen: Die Legende lebt, und das soll noch eine Weile so bleiben.
Pneumatische Plastizität des Klangs
Hunderte von TV-Filmen hat Thomas mit agogischem Geschick vertont, darunter fast alle Edgar-Wallace-Folgen, selbstredend die „Raumpatrouille“, Jerry-Cotton- Filme, manch gediegenen Softporno, ein Prä-Bogner-Skispektakel (Regie: Gunter Sachs), das gerade erst einen Preis gewonnen hat, zwei Erich-Däniken-Epen, die Durbridge-Krimis, „Derrick“, „Der Alte“, „Mein Freund Winnetou“; er komponierte „Musikbeigaben“ für eine Kleist-Inszenierung sowie eine Art „Namensfugato“: Rap für großes Orchester („Gluck, Gluck, Gluck, Bach“), schuf Klänge von pneumatischer Plastizität: stechende, messerscharfe Bläserakzente wechseln mit schrillen Frauenstimmen und – dieses Wort darf nicht fehlen, geht es um die Beschreibung seiner Musik – bizarren Halleffekten. Seither leuchtet das Gestirn seiner Musik mit zunehmendem Glanz.
Peter entdeckte die „Beatband als Klangkörper“, wie Götz Alsmann schön in seinen Liner notes zur aktuellen CD doziert, setzte auf die Improvisationskünste seiner Schergen, von denen der bekannteste Lothar Meid von Amon Düül sein dürfte; Organist Ingfried Hoffmann schrieb später die Musik der „Sesamstraße“.
Vom Triumph des schöpferischen Einfalls
Ich frage Peter, was er denn zur Zeit so treibe. Seine Jupiteräuglein strahlen, sein Redefluß strömt und fließt über, kaum einmal kann man eine Zwischenfrage stellen. Drollig und recht eigen die Art seines Ausdrucks, „fröhlich wie Sprudel“ macht sein Faible für das schräge Wortspiel aus schlichten Statements ein verwirrendes, lichtes Satzgestrüpp, das man erst einmal entwirren muß. Er ist halt ein erklärter Freund des Zugleich – linear sind nicht einmal seine Melodien.
Warum das große, neu erwachte Interesse an seinem Wirken? Zunächst ist da die Easy-Listening- Renaissance. Der Kopf von Combustible Edison, The Millionaire, hat nie einen Hehl nicht aus seiner Bewunderung für den großen Thomas gemacht. Man schickte Bänder zur Bearbeitung hin und her, Peter entschied sich für „Blue Beard“. Bei Combustible Edison fristete es ein trauriges Dasein als gepflegter Easy-Cocktail, jetzt lebt, jetzt bebt es! Die schematische Galanterie des neuen Jet-sets gegen manische schöpferische Kraft, der Triumph des Einfalls über konventionelle Substanz. Zuerst hat der Maestro den Baß neu einspielen lassen, „der alte war Scheiße“. Dann frönte er seiner Vorliebe fürs Blech, dazu Geige und Flöte, fertig war ein geniales Hard-Bop-Arrangement, der Millionaire kam aus dem Staunen nicht mehr raus. „So also geht Musik!“ mag er sich gedacht haben.
Peter, der auch Klaus und Martin heißt, schätzt den Mann, der ihn schätzt. Aber auf dessen Musik hält er kleine Stücke: „Kunstgewerbe!“ Kein Wunder, der gebürtige Breslauer wurde vom Opa schon mit fünf in die Anfangsgründe des Klavierspiels eingeweiht. Er drückte Tasten und sich so vor „niederen Hausarbeiten“. Sein musiktheoretisches Rüstzeug erhält er am Mohr'schen Konservatorium, Professor Doktor Husadel unterweist ihn in Dirigieren und Kontrapunkt. Thomas spielt in Kasinos und Klubs, wird von den Bolschewiken gezwungen, den Minutenwalzer in exakt eine Minute zu pressen, volontiert beim Rias, schreibt Arrangements, 1961 dann seine erste Edgar-Wallace-Musik.
Swing und Bebop, Twain und Hauff
Plötzlich schneit der Sohn des Grafen Einsiedel ins Zimmer, ein aparter junger Mann mit Lockenmähne und Siegelring. Er habe da ein Problem, sagt Einsiedel jr., schlägt ein Lehrbuch auf, hier, der Unterschied zwischen Swing und Bebop. Den wolle er mal eben bündig erklärt haben. Seine Recherchen hätten ergeben, erstens: daß Swing und Bebop Stilphasen seien, daß Bebop zweitens irgendwie komplizierter sei. Wichtig seien weiterhin die Begriffe Zwischendominante, Kadenzverschleierung und Tendenz. „Ach was! ,Lemon Drop‘, das ist Bebop!“ poltert Peter. „Machen, machen, machen, das ist von Bedeutung, nicht elitär darüber quatschen!“ Ob Miles Davis nun rechtsrum oder linksrum blase, das sei nicht von Belang. „Geistige Onanie!“ echauffiert er sich charmant, der junge Herr sucht alsbald das Weite. Auf die Frage nach gedruckten Inspirationen sagt Peter Thomas: Mark Twain! Und alles von Truman Capote! Abends blättert er mit Vorliebe in dessen Unvollendetem: „Toll! Und das Tollste: Man kann überall anfangen.“ Darüber hinaus hat ihn ein Wilhelm Hauff höchlich beeindruckt, der Mann, der Jean Paul und Ludwig Tieck beerbte, vielseitiger Schöpfer von Liedern, Märchen, Parodien.
Es gibt kaum ein Genre, an das Hauff nicht Hand anlegte. Genau wie Peter, der etliches von ihm gern vertont hätte.
Liebling, ich habe die Sinfonie geschrumpft
Sein neuestes Projekt nennt er „First Baby's Records“, Musik für kleine Kleinkinder. Jetzt läuft er zu großer Form auf, denn nichts fasziniert ihn so sehr wie Obertöne, hohe Frequenzen, Schall, der oben mitschwingt, für den eigentlichen Klang sorgt. Komplex, komplex. Komplexer ist nur so ein Baby. „Das hört Sachen in den ersten Lebensjahren, davon können Erwachsene nur träumen!“ Bis zu 20.000 Hertz reicht sein Lauschvermögen, irgendwann wird ihm das vergehen – schon im zweiten Monat, behaupten die Babyforscher. Bis dahin hören, fassen die Neugeborenen nicht kognitiv: „Pre-reaching“ und„Pre-listening“ nennt's der Fachmann.
Geschmacksschulen für Säuglinge existieren bereits, eine Schule des Hörens scheint auf der Höhe der Zeit. Sommerlamm in Honigkaramel für den Gaumen, eine „nicht tonale, nicht atonale“ Musik der Obertöne fürs Ohr. Themen, Motive, Sujets? Ja, aber nur, „um fließende Affekte zu entbinden“ (Cordy). Longitüden, Latitüden, Latenzen: Musik, die wird und vergeht.
Aber Thomas schreckt auch vor gar Furchtbarem nicht zurück, schrumpft Sinfonien ein: stutzt, kappt, kupiert, schafft transklassische Acht-Minuten-Terrinen. Und wenn man recht überlegt, ist das durchaus im Sinne der Sinfonie, die nie etwas anderes sein wollte als ein bloßes Zwischenspiel. Die Eroica, Smetanas Moldau, Tschaikowskys Fünfte als kompakte Prakti-Packs: blitzartig exponiert, hurtig durchfantasiert, mit knorke Übergängen.
Die haben ihn ohnehin stets interessiert. Der junge Thomas war fasziniert von der Könnerschaft eines Herbert Jäger, der vor vielen Jahren die im Radio gespielten Meisterwerke mit flinkem Klavierspiel zu verbinden suchte. Jäger „möffelte sich durch die Harmonien“, wie Thomas zu sagen beliebt, klang ein Akkord in L-Dur aus, fing das nächste Erzeugnis in K-Dur an – Jäger flocht das Interludium. Auch der aurale Wetterbericht wurde so zum Ereignis. Gab es Regen, ließ Jäger Töne tröpfeln, ein Gewitter animierte ihn zu donnernden Arpeggien. Zum Schluß gab er allewege den „Jäger aus Kurpfalz“. Das waren noch Zeiten!
Am nächsten Tag schlägt unser Gesprächspartner schon zum Frühstück Purzelbäume, macht
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Fortsetzung
gute und nicht so gute Scherze („Ich bin doch kein Witzist!“). Helge Schneider hat ihn vor kurzem besucht, Peter soll inskünftig mal einen seiner Filme vertonen. Wie allerdings Otto Waalkes mit den alten Wallace-Streifen und Peters „visuellen Paraphrasen“ umspringt, das gehört sich einfach nicht. Waalkes hatte weder den Tonsetzer noch die toten Schauspieler gefragt, ob er sie sampeln darf. Also hat Peter die Witwen und Waisen über des Ostfriesen mortale Ignoranz informiert. In Sachen Prozessieren ist er ein wahrer Meister, verliert nie, gewinnt immer.
Nicht nur zwei Bundesfilmpreise und einen 1a-Phono-Orden, auch ein „Goldenes Karussell“ nennt er sein eigen. Zuerst bekam Bernstein eins, dann Peter – für seine Verkehrsdidaktik, die sog. „Ampelmännchen“-Tracks. Das Wort AMPELMÄNNCHEN gehört ihm, keinem sonst, er hat es schützen lassen, überall in den Wortämtern hängt es aus, in ganz Europa: Dieser Term gehört dem Composer Thomas.
Raumschiff Orion beatet zum Tanz
Die Vorbereitungen für die anstehende Tour laufen auf Hochtouren. Peter möchte sie „Die Bordkapelle des Raumschiffs Orion beatet zum Tanz“ nennen, die Plattenfirma hält dagegen: zu albern. Er will Queen covern, Nirvana – schon wegen des Baby-Covers –, den ein oder anderen seiner Klassiker feilbieten.
Und natürlich recht viel Neues, zum Beispiel seine „Säbeltanz“- Version. Spießer loben den „rhythmischen Drive“ des Stücks. Thomas läßt das berühmte Chatschaturjan-Riff über eine Techno-Basis schlittern: die Ekseption-Erfolgsformel „,Keyboard und Klassik‘ in zeitgemäßem Gewande“. Unten der Viervierteltakt, digitale Transparenz, oben dazu richtige Instrumente, Posaunen natürlich, seine erklärten Lieblingsinstrumente. Und dann ein Finale, das uns mit offenem Mund zurückläßt. So toll kann ein Ende sein! Nicht zu fassen, können wir das noch mal haben?
Im Panzerwagen über die Wiese
Nein, jetzt geht's erst mal ins Fernsehzimmer, wo wir uns anschauen müssen, was die jungen Raver mit Thomas anzufangen wissen. Nichts natürlich. Das Thema der Raumpatrouille wird von der Formation Bear Groove tüchtig entstellt, auch optisch geht's minderwertig zu. Zwischen alte Schwarzweißaufnahmen der Serie hat man langhaarige Miezen im Military-Mini geschnitten, die in einem Panzerwagen über eine Wiese hoppeln. Peter ficht das nicht an, ihm gefällt's. Er ist kein intolerantes Arschloch, hält sich nicht für was Besseres, und natürlich freut ihn diese späte rege Aufmerksamkeit, das Interesse an seiner Person. Wir sind ja schließlich auch hier.
Aber nicht mehr lange, denn gleich kommt sein Sohn, der Jurist. Wir müssen unser Quartier räumen, in Cordys Toyota MR2 brausen wir zurück nach Kitzbühel. Schade, daß wir schon scheiden müssen, Peter. Kein Problem, kommt einfach nächstes Jahr nach St. Tropez! In die Villa Cordy. Ein letzter Blick, ein letzter Händedruck, schon saust er dem Sonnenuntergang entgegen.
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