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Als die AL Bürgerschreck war

■ Vor 15 Jahren, am 10. Mai 1981, schaffte die AL den Sprung ins Abgeordnetenhaus

Als acht von neun Abgeordneten der Alternativen Liste (AL) am 12. Mai 1981, zwei Tage nach der Wahl, zu ihrer ersten Pressekonferenz im Rathaus Schöneberg zusammenkamen, gaben sie sich lammfromm. „Konstruktive Politik“ wollten sie betreiben, niemand habe zu erwarten, „daß wir Parlamentsbänke anzünden“, wiegelte AL-Sprecher Ernst Hoplitschek die erschrockenen Reporter ab.

Dem Einzug der „Igel“, wie die Partei nach ihrem stachligen Symbol genannt wurde, waren hysterische Reaktionen in der Öffentlichkeit vorausgegangen, die heute selbst die Outlaws von der PDS nicht mehr provozieren können. Das mittlerweile eingegangene Volksblatt, eine SPD-nahe Tageszeitung, sah dumpfen Klassenkampf über Westberlin kommen: „Wie sieht ein Sicherheitsrisiko für diese Stadt eigentlich aus?“ fragte ein Kommentator.

Ja, damals, da redeten die ALer frisch von der Leber weg, wie heute nur noch der PDS-Abgeordnete und Exhausbesetzer Freke Over. „Wir werden“, sagte ein AL-Sprecher auf jener ersten Pressekonferenz, „mit Geheimmaterial so umgehen, wie wir es für richtig halten.“

Das war es, was ein Mann wie Heinrich Lummer genüßlich ausschlachtete. Der Rechtsaußen in der Berliner CDU und spätere Innensenator sah die AL von „dogmatischen Linken“ unterwandert: „Neben Marxisten sind auch Terroristen beziehungsweise ehemalige Terroristen in der AL aktiv“, schrieb er am 28. Mai im CDU-Organ Berliner Stimme.

Aber auch am linken Rand gärte es. Für die SEW, streng Erich Honeckers Sozialismus à la DDR verpflichtet, waren die ALer „Spalter“, die das Proletariat vom wahren Weg abbrachten. 1979 geißelte das SEW-Organ Die Wahrheit die AL als „maoistischen Wahlverein“.

Bei der Bildung der AL im Oktober 1978 waren neben Basis- und Frauengruppen auch maßgebliche Mitglieder der maoistischen KPD und anderer Splittergruppen beteiligt. Das war Munition für die Presse: Einige der damaligen Artikel – allen voran in den Springerzeitungen – lasen sich wie ein Who ist Who des Verfassungschutzes. Kein Wunder: 1989 wurde unter dem rot-grünen Senat das Geheimnis gelüftet: Zehn Jahre lang hatte das Amt 60 Spitzel im „bunten Haufen“ gehalten.

Die Angst vor den Neuen, die das Dreiparteien-Schema aus SPD, CDU und FDP zum Einsturz brachten, verfing allerdings nicht. Von Wahl zu Wahl wuchs die Anhängerschaft der AL – und die Fraktion mit ihr. Heute gehört die AL zum Geschichtsinventar. Geblieben ist der Igel, der die Fahne der Bündnisgrünen ziert. Und mancher, der früher bourgoise Kleidung als Verrat an Ökologie und Sozialismus ablehnte, zieht heute schon mal im Parlament Sakko und Schlips an. Severin Weiland

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