: Sonntag ist Spieltag! Von Klaudia Brunst
„Typisch Tunten!“, stöhnte unsere Nachbarin, und schaltete demonstrativ den Fernseher ein. „Wir können doch nicht Doppelkopf spielen, während unsere Jungs ihr erstes Spiel haben!“ – „Wir spielen jetzt seit elf Jahren jeden Sonntag um 18 Uhr Karten“, entgegnete er spitz, „weder Tschernobyl noch der Golfkrieg, noch der Fall der Mauer haben uns daran hindern können. Ich sehe überhaupt nicht ein, meine Gewohnheiten jetzt plötzlich zu ändern, nur weil da vierundzwanzig Jungs sich um so einen blöden Ball kloppen.“
„Zweiundzwanzig“, korrigierte ich ihn sanft. „Es sind nur zweiundzwanzig Spieler, und die kloppen sich auch nicht um den Ball, sondern treten ihm bestenfalls nach.“ – „Ich finde trotzdem, daß er völlig recht hat“, mischte sich nun auch meine Freundin aus dem Schlafzimmer in die Angelegenheit ein, während sie den Wäscheständer aufstellte. „Fußball – das ist irgendwie so butch, findet ihr nicht?“
„Aber wenn Bundestagswahlen sind, machen wir den Fernseher doch auch an“, schnaubte unsere Nachbarin beleidigt, „das ist doch eine Frage von Informiertsein!“ – „Gibt es denn neuerdings Hochrechnungen für Fußballspiele?“, meinte mein schwuler Freund ungläubig. „Mein Gott, Europameisterschaft ist Europameisterschaft“, wurde nun auch ich langsam laut. „Ich jedenfalls will das auch sehen, ob Andy Möller jetzt endlich sein großes Spiel hinlegt und wie Bertis pressing funktioniert.“
Provokativ setzte ich mich neben unsere Nachbarin auf die Couch und drehte den Ton lauter. Das Spiel war natürlich längst angepfiffen. Unsere Jungs spielten hart am Mann und fingen sich eine gelbe Karte nach der anderen ein. „Ist das jetzt pressing?“, fragte meine Freundin, als Kohler mit einem Innenbandriß vom Platz getragen wurde. Sie hatte sich nun auch auf die Sofalehne gehockt, weil ihre Jungens im Kinderladen im Moment auch total auf EM stehen und sie „diese Stunde dann als Fortbildung verbuchen kann“. – „Es sind nicht sechzig, sondern neunzig Minuten“, meinte unsere Nachbarin altklug, „und im übrigen ist das kein pressing, sondern ein Foul.“
„Wer spielt denn eigentlich?“, rief mein schwuler Freund aus dem Schlafzimmer, der die Zeit nun nutzte, unsere Unterhosen auf die Leine zu hängen, „sehen die Jungs wenigstens gut aus?“ – „Wie sollen wir das beurteilen?“, rief ich zurück, „du bist hier schließlich der Spezialist fürs Maskuline!“ – „Stimmt auch wieder“, seufzte er und hockte sich mit dem Body meiner Freundin auf dem Schoß auf die zweite Lehne.
Hoch erfreut darüber, daß sie sich durchgesetzt hatte, spendierte uns unsere Nachbarin zwei Sixpacks Flens aus ihrem Kühlschrank und erklärte meinem schwulen Freund in der Halbzeitpause unter Zuhilfenahme aller Flaschen auch noch großzügig, was eine Abseitsfalle ist. Das wiederum entsetzte meine Freundin. „Ihr seht aus wie Heteros“, meinte sie und verzog sich entnervt wieder Richtung Wäschekorb.
„Olee-olee-oleo-olee!“, rief ihr mein schwuler Freund hinterher, und schwenkte bierbenebelt den Body meiner Freundin im Wind. „Typisch Weiber! Keinen blassen Schimmer von den wichtigen Dingen des Lebens! Wann haben wir denn unser nächstes Spiel?“
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