Jenseits von Mottram Hall: Gesimpelte Heimgenisse
■ Kabinettreife Kabarettstückchen beim mobilen Sitzfußball in England
Schluß mit der Infantilisierung! Fußball ist ein rauher Sport, da ist kein Platz für Verniedlichungen. Reden wir also fürderhin von Bert Vogts, dem Terrer, der da geheimnisumwabert sprach: „Es ist schwer, Jürgen hier zu verkraften.“ Er, der Satz, und auch er, der Traner, haben uns aus der Seele gesprochen. Nur meinte der Bundesbert in seinem grammatikalischem Geheimkürzel nicht den Strafraum-Hooligan Jürgen Kohler selbst, sondern dessen
Das ist Bernd MÜLLENDER
Sein Spieler: Hristo Stoitschkow. Dieses Verschlagene und hintergründig Böse im Gesicht und diese Wunderbarhaftigkeiten im Fuß.
Sein Team: Niederlande. Haben die schönsten aller orangenen Trikotagen. Leisten sich den Luxus, Fußball noch zu spielen. Statt ihn zu malochen.
Europameister 96: Deutschland. Wegen Corporate Design: Die kollektiv frisch gekappten Haare, als ginge es an die Front, harmonieren eklatant mit der friedlosen Spielweise.
Ausfall nach abbem Band. Sprachliche Filigranarbeit.
Die erleben wir auch, in gewohnt unnachahmlicher Weise, von den Reportierenden. Waldemar Hartmann, „die Duzmaschine“ (SZ), hat eine schöne Marke gesetzt: Man habe, raunte er dem Hans Müller zu, „vor dem Spiel mit vielen anderen fachgesimpelt“. Na? Genau: Statt gefachsimpelt, was für einen wie H. schon kühn genug gewesen wäre, sagt der: fachgesimpelt! Ein Wort, das einiges über die Sprechblasen von ARD und ZDF aussagt: Lauter Simpel, wenn auch immerhin vom Fach. Danke, du unträgerlich schnauzbebarteter und geselbstfälliger Wald, du.
Doch wir schweifen ab in Nebensächlichkeiten. Das liegt an der zähen Hauptsache. Alle Teams haben wir jetzt einmal erleben dürfen, viel schlauer geworden ist niemand. Es bleibt vorläufig bei mindestens 16 Geheimfavoriten. Eine mitreißend offensive Euro 96 wurde allenthalben prophezeit – bislang gab es hauptsächlich vorgezogene Defensive und konsequenterweise unterhaltungsarme Torarmut. Den Gegner weiter vorn beackern und wegsensen, ist mauern an anderem Ort. Aber es heißt jetzt Pressing, dichtmachen, mannschaftliche Organisation, taktische Raffinesse. Und wird sehr gelobt. Trotzdem werden 15 Teams den Titel nicht gewinnen.
Gerade Techniker, so es sie noch gibt, müssen fighten, rackern, kämpfen. Frankreichs Zinedine Zidane als bestes Beispiel. Militärische Disziplin ersetzt Kunstfertigkeit. Wer kompakt steht, braucht nicht unnötig zu laufen. Und Routine geht vor Talent. Italien: Del Piero raus, Donadoni rein. Spanien: De la Pena und Raul zu grün, erst gar nicht dabei. Bankdrücker sind: Kirjakow, Scholl, Chapp. Britanniens einziger Feinmotoriker Gascoigne wird ausgewechselt, Schweizens Sutter blieb gleich auf der Alm. Gebraucht werden Kicker, die mitleidslos immer wieder in die Waagerechte gehen: runter und abgrätschen. Eine Art mobiler Sitzfußball. Demnächst kann auf so etwas Unberechenbares wie den Ball verzichtet werden.
Das ist der Trend zum Erfolg, nicht neu, aber immer offensichtlicher. Und die Unsrigen vom DFB sind die erfolgreichen Vorreiter, nicht die Prinzen, sondern schon die Könige des Schweinseins. Der Abgang von Kohler, dem Original, ist dabei längst verkraftet. Denn die Fußball-Kohlers wachsen nach wie Brennesseln oder Knöterich. Die Eiltsisierung des Fußballs schreitet voran. Nach diesem Prinzip wird Deutschland Deutschland den Titel gewinnen. Und sollte sich das Team im Endspiel doch mühen müssen, wird plötzlich der Klins ohne Gegners Berührung seltsam mysteriös im Strafraum zu Fall kommen und so, wie schon ehedem durch die nationalen Betrüger Hölzenbein und Völler, ein unberechtigter Elfmeter für den Triumph sorgen. Sieg Sieg Sieg. Bernd Müllender
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