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Oskar Lafontaine auf Genossenfang

Lange Zeit galt er als faul, sprunghaft und ziemlich arrogant. Doch diese Zeiten scheinen jetzt vorbei. Der SPD-Parteichef aus dem Saarland nimmt sich und andere an die Kandare  ■ Aus Bonn Markus Franz

Kabinettssaal in der Staatskanzlei in Saarbrücken: SPD-Parteichef Oskar Lafontaine erhebt sich, streicht sich über das Haar und geht gewichtig, mit leicht geneigtem Kopf, aus dem Saal. Dann dreht er sich noch einmal um und sagt schelmisch in die Runde: „So, ich gehe jetzt mal wieder Genossen einfangen.“

Er begibt sich in sein Zimmer, lehnt sich in seinem schwarzen Chefsessel zurück, hinter sich ein gewaltiges Gemälde eines saarländischen Industrieensembles vor düsterem Himmel, und nimmt sich den SPD-Ministerpräsidenten vor, der wieder einmal aus der Reihe getanzt ist. „Bei Anruf Mord“ nennt das ein Vertrauter.

Wenn er zum Einfangen geht, kann der gemütliche Lebemann Lafontaine richtig laut werden. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis hat es zuletzt zu spüren bekommen, nachdem sie von ihrer eigenen Partei ein Sparprogramm gefordert hatte. Die Wände sollen gewackelt haben. Doch dafür war wenig später Ruhe im Karton. Der Mini-Aufstand war erstickt. Nicht jeder hat es so gut wie Manfred Stolpe. Nachdem der brandenburgische Ministerpräsident verlauten ließ, daß er nichts gegen eine Verschiebung des Kindergeldes einzuwenden hätte, schickte Lafontaine den Stolpe-Freund, Johannes Rau, in die Spur, um den brandenburgischen Genossen auf freundschaftliche Art wieder auf den richtigen Weg zu führen. Bereits einen Tag später ließ Stolpe verlauten: Es sei ja alles nicht so gemeint. Selbstverständlich werde sein Land gegen die Verschiebung der Kindergelderhöhung stimmen, er habe nur Prioritäten nennen wollen.

Oskar Lafointaine versteht es, seinen Laden zusammenzuhalten. Dafür, daß die SPD die Lockerung des Ladenschlußgesetzes trotz Bundesratsmehrheit nicht verhindert hat, kann er schließlich nichts. Hamburg mußte sich im Bundesrat der Stimme enthalten, weil der Koalitionspartner Statt-Partei es so wollte. Ansonsten sieht es aber ganz so aus, als könne Lafontaine die SPD-geführten Länder auf ein Nein zum „Sparpaket“ der Regierung einschwören. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber nennt das etwas unfreundlicher: „Lafontaine führt die SPD am Nasenring auf Boykottkurs.“

Nach einigen Patzern, wie der Forderung nach Begrenzung des Aussiedlerzuzugs und der Schönrednerei der mageren SPD-Ergebnisse der drei Landtagswahlen im März, reißt Lafontaine sich und andere am Riemen. Die Genossen registrieren verblüfft, daß der als Hasardeur geltende Saarländer plötzlich Sekundärtugenden entwickelt. Er ist ständig in Bonn präsent, anders etwa als Björn Engholm, der glaubte, von Kiel aus Opposition machen zu können, nimmt an jeder Bundestagsfraktionssitzung teil, telefoniert mit Gott und der Welt, kurz gesagt: Er ist erstaunlich fleißig. Auch seine bisweilen unnahbare, arrogante Art, seine gelegentlich zur Schau getragene Langeweile gewöhnt er sich mehr und mehr ab. Vielleicht das Wichtigste: Er bindet die selbstbewußten Landesfürsten in das Gemeinschaftswerk Lafontaine ein. In neugebildeten Komissionen und Foren führen etwa Gerhard Schröder (Wirtschaftsforum) und Manfred Stolpe (Ostdeutschlandforum) den Vorsitz.

Selbst der Störenfried Gerhard Schröder, der kurzfristig mit einem Bekenntnis zur Mehrwertsteuererhöhung aus der Lex Lafontaine ausgeschert war, scheint der Widerspenstigen Zähmung durch den Leitwolf zu akzeptieren. „Sauber hingekriegt“ habe der Oskar diese „schwierige Geschichte mit den Ministerpräsidenten“, lobte er, und es fragt sich nur, ob er sich selbst einbezog.

Unter Scharping als Parteivorsitzendem war das noch anders. Er, der immer persönlich mit den Unruhestiftern reden wollte und dadurch viel Zeit verlor, war schließlich auch an den innerparteilichen Querelen gescheitert. Lafontaine soll das nicht passieren. Er will die SPD mit aller Macht auf einheitlichen Kurs trimmen. Das Problem dabei: Vor lauter Einfangen, Zurechtstutzen und auf Kurs bringen scheint ein eigenständiges Profil in den Hintergrund zu treten. Die SPD unter Lafontaine stellt sich für viele als Neinsagerpartei dar, mit einem Finanzzierungskonzept, das möglicherweise verfassungswidrig ist, dem Lastenausgleich. Es gibt zwar einen einzigen, wirklich neuen programmatischen Punkt, ein Steckenpferd Lafontaines geradezu, aber der ist der Öffentlichkeit kaum als realistisches Heilsmittel zu vermitteln: Die internationale Nivellierung von Steuern und Abgaben, um den ruinösen Wettkampf der Staaten zu unterbinden. In keiner Rede darf dieser Punkt fehlen, nur ob Lafontaine damit Punkte macht? Wer glaubt etwa schon, daß er etwa die eigenwilligen Briten einfangen kann?

Typisch für die SPD Lafontaines ist die Behandlung des Themas Ökosteuer. Der Saarländer nagelte seine Partei auf die Linie fest: Ökosteuer ja, aber nicht für Unternehmen. Zwar muckte Michael Müller, SPD-Umweltsprecher, danach auf, eine Freistellung der Unternehmen sei mit der SPD nicht zu machen, aber wie sagte Anke Fuchs, die eigentlich Müllers Ansicht ist: „Hat das etwa Wellen geschlagen?“ Staat machen kann die SPD mit dieser Lafontainschen weichgespülten Haltung zur Ökosteuer nicht. Das wird noch kommen, meinen viele Genossen. „Er ist gerade erst dabei, die Leitplanken einzuziehen“, sagt einer, „da schafft er den Straßenbelag nicht sofort.“

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