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Westen setzt in Brcko auf Status quo

■ Mit der Übergabe von Brcko an Bosniens Serben verlieren die Muslime ihren einzigen Binnenhafen und Tausende Flüchtlinge ihre Hoffnung auf Rückkehr. Noch ist unklar, wie Sarajevo reagieren wird

Wien (taz) – Für die bosnische Regierung in Sarajevo ist es ein schwerer Schlag: Mit dem Verlust von Brčko verlieren die Muslime ihren einzigen Binnenhafen. Die Hafenstadt an der Save war schon im kommunistischen Jugoslawien der wichtigste Umschlagplatz für Waren aus Westeuropa nach Bosnien. Aufgrund der strategischen Bedeutung versuchte die serbische Armee bereits im Frühjahr 1992, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bekommen. Über Wochen tobten die Kämpfe, dann gingen serbische Freischärler als Sieger hervor.

Von einst etwa 87.000 Einwohnern – 45 Prozent Muslime, 26 Prozent Kroaten, 20 Prozent Serben und 9 Prozent andere Volksgruppen – wohnen heute in der Stadt noch etwa 8.000 Serben. Diese sind meist selbst Vertriebene aus Zentralbosnien und den einst serbischen Außenbezirken von Sarajevo. Jedoch leben unweit von Brčko über zehntausend Muslime in Sammelunterkünften der UNO, in der Hoffnung, eines Tages in ihre Heimatstadt zurückkehren zu können. Die bosnische Regierung in Sarajevo hatte sie mit dem Versprechen ruhiggestellt, daß der Tag ihrer Rückkehr in das „befreite Brčko“ kommen werde. Die Stadt werde man niemals hergeben, hieß es aus Sarajevo, es seien schon genug Zugeständnisse an die serbische Seite gemacht, das einst ebenfalls mehrheitlich muslimisch besiedelte Umland nicht mehr zurückzufordern.

Wie zäh um Brčko gerungen wurde, zeigt der Umstand, daß bei den Daytoner Friedensverhandlungen im November 1995 keine Einigung unter den bosnischen Kriegsparteien über dessen Zukunft erzielt werden konnte. Der Streit um Brčko drohte damals das ganze Befriedungspaket scheitern zu lassen. Also wurde das Problem ausgeklammert und einer Schiedskommission überlassen. In den kommenden Monaten konnten sich beide Seiten nicht auf einen neutralen Schiedsrichter einigen. Und so ernannte diesen der Internationale Gerichtshof.

Der Anwalt Robert Owen, ein enger Mitarbeiter des ehemaligen US-Außenminister Warren Christopher, übernahm die schwierige Aufgabe, einen Kompromiß zu finden – bis zum 14. Dezember des vergangenen Jahres. Doch wenige Tage vor dem Stichtag bat Owen um Nachverhandlungen bis zum 15. Februar diesen Jahres. Es wurde gemunkelt, der Amerikaner habe sich für die Verschiebung einer endgültigen Entscheidung stark gemacht und bei EU und UNO um die Möglichkeit ersucht, die Region Brčko unter internationale Verwaltung zu stellen.

Allem Anschein nach kam Owen mit diesem Vorschlag nicht durch, lehnten die westlichen Regierungen das auf ein Jahr begrenzte Protektorat für Brčko ab und entschieden sich statt dessen für den Status quo: die Übernahme durch die Serben. Schon bald wird sich zeigen, ob Sarajevo diese diplomatische Niederlage hinnimmt oder einen Waffengang provoziert. Zumindest der Oberbefehlshaber der bosnischen Armee, General Razim Delić, machte bis vor kurzem keinen Hehl aus seiner Absicht, notfalls den militärischen Durchstoß von Tuzla in Richtung Brčko zu starten, um auf diese Weise den serbisch okkupierten Teil Bosniens in zwei Teile zu trennen: westlich von Brčko in die Region Banja Luka, östlich in die Region Pale. Karl Gersuny

Kommentar Seite 10

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