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■ Die Versöhnungserklärung steht auf tönernen FüßenVerhandlungsmarathon in Prag

Es kam, wie es kommen mußte. Selbst wenn das Prager Parlament der deutsch-tschechischen Versöhnungserklärung heute mit einer mehr oder weniger großen Mehrheit zustimmen wird, hat nicht nur die stundenlange Debatte der letzten Tage, sondern auch der monatelange Verhandlungsmarathon davor gezeigt: Die große Mehrheit der Tschechen ist – genausowenig wie übrigens auch der Großteil der Sudetendeutschen – nicht fähig, eine Mitverantwortung für die Verbrechen der gemeinsamen Vergangenheit anzuerkennen. Denn es sind ja nicht nur die politisch weitgehend einflußlosen Republikaner und Kommunisten, die die Erklärung ablehnen, sondern auch weite Teile der Sozialdemokraten, und diese haben immerhin die letzten Parlamentswahlen gewonnen. Daß man Soldaten der Wehrmacht an Laternenpfählen henkte, anzündete und ihre Familien anschließend aus dem Lande vertrieb, wird in Tschechien noch immer mit den vorangegangenen Verbrechen der Deutschen entschuldigt. Und dann war da ja auch noch das Potsdamer Abkommen, das in ihrem Verständnis den „Abschub“ legalisierte.

Daß es so kam, wie es kommen mußte – dafür trägt vor allem Václav Havel die Verantwortung. Der tschechische Präsident hatte bereits in den Jahren, in denen er noch nicht auf dem Hradschin, sondern zumeist im Gefängnis in Ruzyne saß, eine Debatte über die Vertreibung geführt. Diese als Unrecht zu bezeichnen und sein Bedauern darüber auszudrücken, war einer seiner ersten Schritte nach dem Machtwechsel 1989. Die Deutschen reagierten begeistert, die Tschechen erschüttert. Denn sie, beschäftigt mit der Anpassung an den Prager Herbst, hatten diese Debatte schließlich nie geführt. Ihre Reaktion hätte Havel und auch allen Wohlmeinenden an Rhein und Moldau eine Warnung sein müssen. Statt in geheimen Verhandlungen an einem diplomatischen Papier zu feilen, das beiden Seite gerade noch gerecht wird, hätte eine öffentliche Auseinandersetzung über die deutsch-tschechische Vergangenheit beginnen müssen. Eine Debatte nicht nur zwischen Historikern oder den Kirchen beider Staaten. Eine Debatte auch mit den Sudetendeutschen. Eine Debatte über das wechselseitige Unrecht, das sich Deutsche und Tschechen nicht nur zwischen 1938 und 45 zugefügt haben. Danach hätten die Politfunktionäre von Rechts und Linksaußen keine Chance mehr gehabt, eine Versöhnungserklärung zu blockieren. Sabine Herre

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