: „Wir dulden keine Sippen“
Trotz Zusage für die Aufenthaltsgenehmigung in den USA, wollte die Ausländerbehörde bosnische Familie abschieben. Anwältin: Leute werden ausgeguckt, wie Akten gerade auf den Tisch kommen ■ Von Vera Gaserow
Mujo B. und seine Frau Haska saßen beim Frühstück, als am Mittwoch morgen die Herren in Grün an der Wohnungstür klingelten. Wenig später fanden sie sich wie Schwerkriminelle in getrennten Polizeizellen wieder. Dort, so berichtet die 47jährige Haska B. später, habe sie sich ausziehen und durchsuchen lassen müssen – „Rückführung“ ins zerstörte Bosnien nach Berliner Art. Das Ehepaar B., muslimische Roma aus dem bosnischen Slanski Most, gehörte zu denen, die Innensenator Schönbohm gestern früh via Zürich und Zagreb nach Sarajevo abschieben lassen wollte. Doch wenige Stunden nach ihrer Festnahme kamen die B.s wieder frei – dank der Intervention ihrer Anwältin. Die geplante Abschiebung erwies sich als geplanter Irrtum.
Warum gerade die B.s in den Kreis derer gerutscht waren, an denen – zur unmißverständlichen Warnung der übrigen Flüchtlinge – ein Exempel statuiert werden sollte? Keiner weiß es – das Ehepaar B. nicht, die polizeiliche Überführungsstelle nicht, und mittlerweile weiß es wohl selbst die Ausländerbehörde nicht mehr.
Das Ehepaar B. war 1993 zusammen mit ihren drei volljährigen Kindern nach Deutschland geflüchtet. „Zum Schutz von Ehe und Familie“ wären die B.s als Großeltern hier lebender Enkel von einer Rückführung vorerst ausgenommen. So steht es in der Weisung der Berliner Innenverwaltung vom September vergangenen Jahres. Die Ausländerbehörde interessierte das nicht. „Soll ich denn die ganze Sippe dulden?“ habe man ihr bei der Behörde geantwortet, als sie auf den Verstoß gegen die Senatsweisung aufmerksam machte, berichtet Ellen Apitz, die Anwältin der Familie B.
Die Ausländerbehörde ließ sich zunächst auch nicht von einem anderen Argument beeindrucken: Mujo und Haska B. wollen gar nicht auf Dauer in Deutschland bleiben. Sie haben seit Januar eine schriftliche Zusage der amerikanischen Botschaft in Frankfurt, daß sie innerhalb der nächsten fünf Monate zum dauerhaften Aufenthalt in die USA auswandern dürfen.
Für Rechtsanwältin Apitz ist das Ehepaar B. ein besonders drastisches Beispiel dafür, daß die Ausländerbehörde willkürlich und ohne Prüfung des Einzelfalls auswählt, wer als erster nach Bosnien zurückgehen muß. „Die Leute“, schimpft Apitz „werden ausgeguckt, wie die Akten gerade auf den Tisch kommen.“ Selbst eine ihrer bosnischen Mandantinnen, die nach drei Schlaganfällen an den Rollstuhl gefesselt ist, bekam jetzt von der Ausländerbehörde die Mitteilung, daß sie zum Kreis derer gehört, für die ein Rückkehrgesuch bei den bosnischen Behörden gestellt worden ist. „Man schikaniert die Menschen, um den Ausreisedruck zu erhöhen“, beobachtet Bosiljka Schedlich vom Süd- Osteuropa Kulturzentrum. Beispiel: In einem Wohnheim am Hermannplatz wurde bosnischen Flüchtlingen Strom und Wasser abgesperrt. Damit wollte man sie zum Umzug in eine andere Unterkunft bewegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen