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Debatte der Augenwischer

Das Strafrecht für Sexualtäter soll verschärft werden. Die Parlamentarier waren sich gestern einig: Die Kinder müssen besser geschützt werden  ■ Von Jan Feddersen

Bonn/Berlin (taz) – Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig genießt nicht immer die volle Zustimmung des Parlaments. Gestern aber zeigte sich der Bundestag zumindest mit dem Beginn seiner Rede einverstanden: „Der Schutz unserer Kinder ist der Leitgedanke des Ihnen vorliegenden Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten.“ Am Ende der Debatte waren sich alle Fraktionen beinahe einig, zum Schutz der Kinder vor Sexualverbrechen die entsprechenden Strafen zu verschärfen und Vorsorge gegen einen Rückfall der Täter zu treffen – die entscheidenden Differenzen kamen nicht zur Sprache.

Immerhin bemängelten bei der ersten Lesung des Gesetzespakets die Oppositionsparteien, daß weiterhin viel zu geringes Gewicht auf Prävention gelegt werde. Alle Fraktionen riefen jedoch die dafür zuständigen Bundesländer auf, die neuen Gesetze auch umzusetzen und dafür Geld bereitzustellen.

Die Vorschläge der Koalition sehen unter anderem härtere Strafen für schwere Fälle des Kindesmißbrauchs vor: Die Mindeststrafe soll auf ein Jahr, die Höchststrafe auf 15 Jahre angehoben werden. Außerdem sollen Gerichte die Täter leichter als bisher zur Therapie verpflichten können, auch nach Verbüßung der Strafe. Zudem soll ein Täter bereits bei der ersten Wiederholungstat lebenslang in Sicherungsverwahrung weggeschlossen werden können – ein Konzept, das von den Grünen abgelehnt wird, weil damit die Täter nur im Gefängnis ohne Therapie weggeschlossen, aber nicht therapiert werden.

So räumte Norbert Geis, rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, ein, daß höhere Strafen allein einen Sexualtäter nicht abschrecken. Aber auch ein Sexualstraftäter sei nie so ausschließlich triebgesteuert, daß die Ächtung der Gesellschaft, die auch im Strafmaß zum Ausdruck komme, keine Wirkung auf ihn hätte. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Horst Eylmann, warnte allerdings vor zu großen Hoffnungen auf die neuen Gesetze. „Wenn die neuen Regelungen im Bundesgesetzblatt stehen, ist nur der erste Schritt getan“, sagte der CDU-Politiker. Auch wenn Gerichte eine Therapie anordnen könnten, gebe es weiterhin nur 900 therapeutische Haftplätze.

Die Zahl der Gutachter, die vor einer vorzeitigen Haftentlassung über die Gefährlichkeit eines Täters urteilen können, sei mit 40 statt der nötigen 120 ebenfalls zu gering. Darüber hinaus sei die Zahl von nur drei Lehrstühlen für forensische Psychiatrie skandalös niedrig. „Jede dritte Stelle in den Länderhaushalten ist weniger wichtig als dieses Geld zum Schutz unserer Kinder“, sagte Eylmann.

Auch die SPD-Rechtspolitikerin Herta Däubler-Gmelin warnte davor, allein von neuen Gesetzen Erfolg zu erwarten. Bereits jetzt könnten bestehende Gesetze nicht ausgenutzt werden, weil Polizei oder Gerichte von dieser Art von Verbrechen zuwenig Kenntnisse hätten und zum Beispiel bei Gutachten der forensischen Psychiatrie (siehe Kasten) die falschen Fragen stellten. Auch die Ausbildung der Gutachter erfordere vor allem Geld – dürfe aber „nicht allein das Geld der Länder kosten“. Für die Grünen kritisierte der Rechtspolitiker Volker Beck, Bundesregierung und Koalition setzten einseitig auf Repression und Strafrecht. Weiterhin würden „wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen“ zum Schutz der Kinder gar nicht erst entwickelt.

Der bayerische Justizminister Hermann Leeb bekundete vor dem Bundestag die Bereitschaft seiner Landesregierung, für den Schutz vor rückfälligen Sexualstraftätern auch mehr Geld auszugeben. Allerdings könne Therapie nur dort eingesetzt werden, „wo sie sinnvoll ist“, sagte der CSU-Politiker, ohne näher zu bestimmen, was er mit Sexualstraftätern zu tun gedenke, die sich im Gefängnis als untherapierbar erweisen. Bayern favorisierte vor den gestrigen Beratungen vor allem die Idee der Sicherheitsverwahrung von Sexualstraftätern nach Verbüßung ihrer Haftstrafen.

Ein anrüchiger Ansatz. Nach allen kriminologischen Erkenntnissen werden Sexualstraftäter, die keine Therapiechance erhalten und im Knast bleiben müssen, nach ihrer Freilassung eklatant häufiger rückfällig als Täter, mit denen außerhalb des Gefängnisses (also im geschlossenen Maßregelvollzug) eine Heilung versucht wird. Und: Lebenslange Sicherheitsverwahrung ist unzulässig.

Monika Frommel vom Kriminologischen Institut der Uni Kiel, bezeichnete gestern so die Haltung Bayerns als Augenwischerei: „Der gesamte Regierungsentwurf ist ein Potemkinsches Dorf – man will die Therapie, sagt aber nicht, woher die Länder das Geld nehmen sollen, um sie auch zu finanzieren.“ Der Gesetzentwurf wird nun im Rechtsausschuß beraten, ehe er vom Bundestag weiter debattiert werden kann.

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