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Banzkower Elegien oder: Im gemütlichen Gulag Von Wiglaf Droste

„Ganz Schwerin, es bleibt dabei: / Jeden Tag ein Banzkow-Ei!“, dichtete man bis 1990 in der Umgebung Schwerins. Denn in Banzkow, zwischen Schwerin und Ludwigslust gelegen, wurden sozialistische Eier gelegt zugunsten der frühstückseiversessenen Bevölkerung der Region. Hätte es in der DDR vegane Tierschutztrupps gegeben, sie hätten reichlich zu schreien gehabt über „unmenschliche Eierproduktion!“, „Hühner-KZ!“ und alles. Doch diese Sorte Kitsch wurde in der DDR nicht entwickelt; Bürgerkinder, die „Befreit alle Hühner!“ kreischen und das für eine oppositionelle Äußerung halten, sind originär Westfabrikate.

Hühner werden in Banzkow nicht mehr geknutet, dafür aber wird jetzt mit der Käfighaltung von Menschen experimentiert. Dabei führend ist das „Trend Hotel“ zwischen Banzkow und Plate, ein nüchtern-schmuckloser, justizvollzugsanstaltähnlicher Bau mit entsprechend geschultem Personal.

Deshalb hat sich im „Trend“ über das Wochenende auch ein mehr als hundertköpfiger Polizeichor aus dem Münsterland eingemietet, der sich dort sichtlich wohlfühlt. Abends überschwemmen die bollerig gebauten westfälischen Freizeitsänger die Hotelbar und erheben ihre ohnehin wenig samtenen Stimmen zu allerlei Gesang: „Olé, olé, olé“ und „Theo, wir fahr'n nach Lodz“.

Später drehen sich die Lieder zusehends um das, was das kollektive Unbewußte älterer Herrschaften offensichtlich beherrscht: die atavistische und ganz unsinnige Angst, nichts mehr zu trinken zu bekommen, wird durch das trotzige „Wir haben den Kanal noch lange nicht voll“ und das nicht minder schmissige „Wenn das so ist, na dann Prost!“ in Schach gehalten, während die viel begründetere Ahnung, daß es mit der Fortpflanzung weder an diesem Abend noch sonst irgendwann jemals wieder etwas werden wird, schlicht brutal, ja geradezu hysterisch übersungen wird: „Scheißegal, scheißegal, ob du Huhn bist oder Hahn / Wenn du Huhn bist, mußt du Eier legen können, wenn du Hahn bist, mußt du Hühner ficken können / Scheißegal, scheißegal, ob du Huhn bist oder Hahn.“

So singt der Polizist und will nicht aufhören damit. Dabei sind – sieht man von drei trotz aller akustischen und optischen Plagen unglaublich freundlichen Kellnerinnen ab – gar keine „Hühner“ da, bloß an die hundert Hähne, Bier- Hähne quasi, die vollständig inferior nach Ficken betteln und das ausgerechnet mit einem Lied tun, das den Bogen zum „Banzkow-Ei“ Huhn/Hahn-technisch gesehen wieder schließt. So fügt sich im Alltagsleben oft manches.

Anderntags um halb acht Uhr in der Frühe läßt die Rezeptionshexe wie zur Fortsetzung der Ohrenpein ihr Mobiles Weckkommando antreten: Drei jaulend bohrende Fliesenleger traktieren die angrenzende Zimmerwand und mahnen den Gast unmißverständlich zum Frühstück.

Dort dominiert das klassische Ost-Angebot: Soljanka (die Schwester von Walter Janka), Letscho vom Faß und das gute alte Würzfleisch. „Laßt mich hier liegen, es ist nur eine Würzfleischwunde!“ fleht der erledigte Gast, wird aber von der sächsischen Schließerin zum Banzkower Wäschedienst abkommandiert, wo es nach Landessitte lyrisch zugeht: „Ihr Oberhemd, gepflegt wie nie / Wir danken sehr und grüßen Sie!“

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