: Die SED und die „nützlichen Idioten“
■ FU-Forschungsstelle SED-Staat antwortet den Kritikern: Historiker wurden von der SED-Diktatur funktionalisiert und reagieren nun mit Diffamierungen auf diese Vorwürfe
Im Vorfeld des 20. Juli, dem Jahrestag des Stauffenberg-Attentats auf Hitler, veröffentlichten Dr. Klaus Schroeder und Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED- Staat an der Freien Universität eine scharfe Kritik an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und an liberalen Historikern.
In dem Beitrag für die Wochenzeitung „Das Parlament“ warfen Staadt und Schroeder den Historikern vor, von der SED beeinflußt gewesen zu sein. Aus Rücksichtnahme auf die SED hätten die Wissenschaftler ein entstelltes DDR- Bild gezeichnet. Der Gedenkstätte Deutscher Widerstand – und ihrem Leiter, dem FU-Professor für Politikwissenschaft, Peter Steinbach – warf Jochen Staadt später vor, die Gedenkstätte reproduziere das DDR-Geschichtsbild.
In einem taz-Interview (8. August) griff Steinbach seinerseits den Forschungsverbund an: Der Forschungsverbund werde von politischer und universitärer Seite protegiert, betriebe die DDR-Forschung als „Hexenjägerei“ und arbeite mit „McCarthy-Methoden“. Außerdem diene die SED-Forschung politischen Feldzügen wie der Roten- Socken-Kampagne und relativiere die NS-Geschichte.
Heute antwortet Dr. Klaus Schroeder, der Leiter des Forschungsverbundes und Privatdozent am Fachbereich Politische Wissenschaft der FU, auf die Vorwürfe.
Die aktuellen Kontroversen um die Ausstellungskonzeption der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und die Arbeit des Forschungsverbundes SED-Staat verdeutlichen einmal mehr die Notwendigkeit wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit der deutschen Teilungsgeschichte und vor allem mit dem Umgang linker und linksangehauchter Intellektueller mit der SED-Diktatur.
Mitarbeiter des 1992 mit Unterstützung des FU-Präsidenten an der FU gegründeten Forschungsverbundes SED-Staat haben in verschiedenen Beiträgen die Ergebnisse der vor 1989 dominierenden sogenannten systemimmanenten DDR-Forschung wissenschaftlich kritisiert und ihr vorgeworfen, ein verharmlosendes, zumindest aber irreführendes Bild der DDR gezeichnet zu haben. Die Kritisierten reagierten häufig mit persönlichen Verdächtigungen und Diffamierungen ihrer Kritiker, sehr selten jedoch mit wissenschaftlicher Gegenkritik.
Peter Steinbach orakelt in der TAZ vom 8. 8. 1997 von „Verbindungen, die vom Forschungsverbund unmittelbar zu politischen Institutionen in Bonn und Berlin laufen“. Diese Einschätzung von Außenstehenden ehrt uns sehr, und wir würden uns wünschen, daß dies auch nur die halbe Wahrheit wäre. Die Realität sieht (leider) anders aus.
Der Forschungsverbund hatte und hat auch an der FU einen schweren Stand. Der 1992 amtierende und kurze Zeit später als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS enttarnte Dekan des Fachbereichs Politische Wissenschaft, Jacobsen, wollte namens des Fachbereichsrats gegen den FU-Präsidenten klagen und forderte die Rücknahme der Institutionalisierung; die ihm als Dekanin nachfolgende Gesine Schwan versuchte, die Arbeitsfähigkeit des Verbundes durch den Entzug von Räumen zu beeinträchtigen, und der FU-Personalrat verweigerte bei zahlreichen Personalvorgängen, zum Teil auch bei Drittmittelbeschäftigten, seine Zustimmung zur Einstellung von Mitarbeitern.
Eine kürzlich von Hans Günter Hockerts (München), Wolfgang Schuller (Konstanz), Uwe Thaysen (Hamburg) sowie Karl Wilhelm Fricke (Köln) durchgeführte Evaluation bescheinigte dem Forschungsverbund, er habe „die Erforschung und historische Einordnung von Geschichte und Transformation des SED-Staates auf gediegen-quellengestützte, originelle und vielfältige Weise vorangebracht“.
Kritiker wie Peter Steinbach dagegen unterstellen dem Forschungsverbund eine „Politik des Verdachtes“ als „Vorspiel des Terrors“ und vergleichen ihn mit McCarthy in den USA, der als Symbol für eine völlig überzogene und hysterische institutionelle Abrechnung mit tatsächlichen oder nur vermuteten Kommunisten gilt. Entbehrt schon diese Bezugnahme jeglicher Grundlage und gibt allenfalls Hinweise auf die rege Phantasie des Kritikers, so ist die Behauptung Steinbachs, der Forschungsverbund verknüpfe DDR-Forschung und NS-Forschung unmittelbar und benutze dieses zur Relativierung der NS-Diktatur, ebenso falsch wie infam.
Der Forschungsverbund SED- Staat betreibt keine NS-Forschung und arbeitet auch nicht mit der „unmittelbaren Verknüpfung“ der DDR-Forschung mit der NS-Forschung. Im Gegenteil: Mitarbeiter des Forschungsverbundes haben sich immer gegen eine wechselseitige Instrumentalisierung und Relativierung bei der Auseinandersetzung mit der SED- Diktatur ausgesprochen.
Die auch von anderen linken Wissenschaftlern aufgestellte Behauptung, eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen der SED-Diktatur würde zwangsläufig die NS-Verbrechen relativieren, führt in der Konsequenz umgekehrt zu einer Tabuisierung und damit wieder zu einer Verharmlosung dieses Systems. Kein ernsthafter Wissenschaftler hat jedoch bisher eine Gleichsetzung von NS- und SED- Diktatur behauptet, selbstverständlich ist Honecker nicht gleich Hitler, wie auch die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands gänzlich andere Dimensionen haben als die des sowjetisierten deutschen Teilstaates. Darüber sollte kein Dissens bestehen.
Steinbach stellt freilich ebenso wie vor ihm z.B. Gesine Schwan weitere falsche Behauptungen über den Forschungsverbund SED-Staat auf. Trotz mehrerer Gegendarstellungen schreibt er z.B., ohne Belege anzuführen, daß Mitarbeiter des Forschungsverbundes von einer „Fremdsteuerung des Otto-Suhr-Institutes“ durch die SED und das MfS ausgehen oder daß die Mitarbeiter ihre politische Vergangenheit nicht offenlegen oder daß der Forschungsverbund (partei-)politische Ziele verfolgen würde. Alle diese Behauptungen entbehren jeglicher Grundlage!
Tatsächlich verhält es sich anders: Ein Mitarbeiter des Forschungsverbundes hat nur über versuchte Einflußnahmen durch SED/MfS und über das Wirken von IMs an der FU berichtet, wie auch die politische Vergangenheit einzelner Mitarbeiter kein Geheimnis ist, da selbige schon seit den siebziger Jahren in Büchern, Artikeln und von ihnen organisierten Veranstaltungen eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit der APO der sechziger und siebziger Jahre mitinitiiert haben. Auch kann der Forschungsverbund schwerlich parteipolitische Ziele verfolgen, dem steht allein schon seine pluralistische Zusammensetzung entgegen.
Was sind nun die Hintergründe und Motive für eine Kritik, die gerade das betreibt, was sie dem Forschungsverbund vorwirft, nämlich eine „Politik der Verdächtigung“ sowie eine selbst ins Persönliche gehende Diffamierung? Im vorliegenden Fall Steinbach bzw. Gedenkstätte Deutscher Widerstand geht es um die Vertuschung der Tatsache, daß bis zum Ende der DDR der kommunistische Widerstand in einer Weise dargestellt wurde, die eher SED-Vorstellungen als wissenschaftlichen Ansprüchen genügte. Dafür mag es aus damaliger Zeit ja auch durchaus Gründe gegeben haben; nur heute nicht mehr dazu stehen zu wollen und diejenigen, die dies kritisieren, der Lüge und Diffamierung zu bezichtigen, das geht zu weit!
Wir haben kürzlich darauf hingewiesen, daß Kommunisten wie z.B. Robert Havemann, Heinz Brandt oder Margarete Buber- Neumann, die beiden deutschen Diktaturen kritisch gegenüberstanden, verfolgt oder ausgegrenzt wurden, keine angemessene Berücksichtigung und entsprechende Würdigung im Rahmen des „kommunistischen Widerstandes“ fanden, während Stalinisten wie Ulbricht und Pieck an „herausragender Stelle“ gedacht wurde, ohne Hinweis auf ihre Mithilfe bei der Verfolgung und Liquidierung von Kommunisten im sowjetischen Exil.
Selbstverständlich gehörten Ulbricht oder Pieck, wie auch viele andere Kommunisten, zum deutschen Widerstand gegen das NS- Regime und sollen insoweit auch hier den ihnen gebührenden Platz einnehmen; nur: Die moralische Qualität des „Tyrannenmörders“, dessen Motiv darin besteht, sich selbst als neuer Tyrann zu etablieren, sollte man wohl in Zweifel ziehen dürfen. Wenn knapp acht Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch Widerstandskämpfer unter beiden Regimen wie Robert Havemann nur in einer „Ausstellungsmappe“ in einem entlegenen Raum präsentiert werden und andere weiterhin fehlen, muß der hilflose Versuch von Steinbach, die Kritik zurückzuweisen, ins Leere gehen.
Aber im Kern geht es um mehr – und nur dies erklärt auch die fortgesetzten diffamierenden Äußerungen über den Forschungsverbund –, und zwar um die Offenlegung des „innerdeutschen Dialogs“. Den westdeutschen Akteuren geht es, was aus lebensbiographischen Gründen nachvollziehbar sein mag, um die Tabuisierung oder Neuinterpretation ihrer Rolle in der „deutsch-deutschen Verantwortungsgemeinschaft“. Sie zweifeln den Aussagewert der SED- und MfS-Akten an, da hierin deutlich wird, welche Funktion sie für die SED-Westpolitik eingenommen hatten. Die SED suchte unter westdeutschen Politikern und „seriösen“ Wissenschaftlern Bündnispartner, die ihr Ziel der Festschreibung deutscher Zweistaatlichkeit und der endgültigen Anerkennung der DDR mitvertraten.
Hierzu paßten nicht Berichte über die bis 1989 praktizierten Menschenrechtsverletzungen und die Charakterisierung der DDR als SED-Diktatur, erwünscht war in diesem Zusammenhang weniger eine plump apologetische Darstellung (für die die SED im Westen bereits ihre Hilfstruppen hatte), sondern vielmehr ein „realistisches Bild“ der DDR.
Das Kalkül der SED ging auf: Westdeutsche Politikwissenschaftler und Zeitgeschichtler überboten sich geradezu in der Kennzeichnung der DDR als „moderne Industriegesellschaft“ und im Verschweigen ihres diktatorischen Gehalts. Einflußnahmen und punktuelle Erfolge der SED dürften mithin subtiler erfolgt sein als gemeinhin unterstellt.
Hinzu kam, daß bestimmte DDR-Forscher wie auch einige Historiker ein verharmlosendes DDR-Bild entworfen haben, um ihre Kontakte zu SED-Wissenschaftlern und ihre Akzeptanz bei der SED-Führung nicht zu gefährden. Einladungen in die DDR betrachteten nicht wenige Wissenschaftler ebenso wie die meisten westdeutschen Politiker als eine besondere Ehre. Mancher westdeutsche Historiker drohte seinem ostdeutschen Gesprächspartner auch schon einmal an, sich bei Erich Honecker zu beschweren, falls er zum nächsten deutsch-deutschen Historikertreffen nicht eingeladen würde.
Zeitgeschichte, verstanden als „Geschichte der Mitlebenden“, darf freilich keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten sensibler Gemüter nehmen, will sie sich nicht von vornherein selbst begrenzen. Denn: „Der Erklärungshorizont des Zeithistorikers ist nicht identisch mit dem Erlebnishorizont des Zeitzeugen“ (Hockerts).
Klaus Schroeder ist Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat und lehrt als Privatdozent am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin.
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