piwik no script img

Unser kleines Dorf

■ Die, die mit sich und vielen Hektar Kartoffelacker leben: "Not a love song", der Erstlingsfilm des Regisseurs Jan Ralske, ab heute im Kino

Ketschoorp ist eine kleine Gemeinde irgendwo in der Nähe von Fürstenwalde. Zwei historische Ereignisse haben diesen Ort geprägt: die Gletschermoräne, die vor etlichen Jahrtausenden vorbeischliff und ihr Geröll ablud. Und die Bodenreform, die die einstigen Bauern zu Dienstleistern machte.

Deshalb wissen die Leute jetzt auch partout nichts anzufangen mit sich und den vielen Hektar Kartoffelacker. Die Protagonisten in Jan Ralskes Film-Erstling „Not a love song“ träumen entweder von Landflucht, oder sie geben sich der Illusion hin, der Acker sei zu urbanisieren. Zur zweiten Kategorie gehört Karl (Mathias Freihof), der Managerseminare besucht, um aus dem stillgelegten Bahnhof eine Goldgrube zu machen. Zur anderen gehört Einzelkind-Typ Bruno (Lars Rudolph), der den James Dean dieses kleinen Kosmos mimt. Dazwischen die schöne Luise (Anna Thalbach), die zwar ihre Energien dem aussichtslosen Investitionsobjekt „Panorama-Bar“ ihres Mannes Karl opfert, sich aber natürlich eher zur 10-Mark-Aushilfskraft Bruno hingezogen fühlt. Der schraubt hauptberuflich an seinem Tantra-Cadillac, um sich in Richtung Italien aus dem Staub zu machen.

Anstatt also die verwaisten LPG-Felder ringsherum zu bestellen, begeben sich die drei Protagonisten flugs in eine verhängnisvolle „beckettsche Situation“, (PR-info) aus der es kein Entrinnen geben kann. Die Eröffnung der „Panorama-Bar“ wird zum alkoholgetränkten Fiasko: Nicht die golfspielenden Neureichen kommen, sondern bloß die Trinker aus der Nachbarschaft. Die geladenen „Harmonie Boys“ aus Berlin entpuppen sich als zweitklassige Grunge-Band. Am Ende macht die Eifersucht aus dem Jungunternehmer Karl einen tragischen Bösewicht, der als Moderator dieser depressiven Party die Untiefen seiner Seele offenbart.

Das erwartete Road-Movie findet nicht statt bzw. endet an der ersten Autobahnraststätte. Aus einer beckettschen Situation kann man sich eben nicht so einfach davonschleichen. Also wird diese ostdeutsche Provinz, wo noch jeder Plan gescheitert ist und „sogar die Tiere versuchen, sich selbst umzubringen“ (Bruno), noch ein wenig weiter so vor sich hinsiechen. Wie die Nebenfigur Günther: Der bastelt schon seit einiger Zeit am Suizid herum, aber bringt selbst dafür nicht die ausreichende Motivation auf. Bei so viel Scheitern prallt sogar Brunos Witz vom Patienten, der nur noch vierundzwanzig Stunden zu leben hat, glatt am Krankenbett ab. Noel Rademacher

„Not a love song“, Regie: Jan Ralske, 84 Min., Deutschland 1997, mit Lars Rudolph, Anna Thalbach, Mattias Freihof u.a., Termine siehe Cinema-taz

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen