: Gegen national befreite Zonen
■ Grüne debattieren das Thema Rechtextremismus: Die Zeiten der „Wunderwaffe Sozialpädagogik“ sind in der Diskussion über rechte Gewalt unter Jugendlichen offenbar vorbei
Nicht einmal, wenn die Grünen ins Abgeordnetenhaus einladen, ist man mehr vor ihnen sicher: Im Brustton der Überzeugung palaverte ein Mittfünfziger bei einer hochkarätig besetzten Debatte zum Thema Rechtsextremismus über die „Notwehr“ der Kinder, die sich gegen Ausländer wehrten. „Jeder, der ungebeten in dieses Land kommt, begeht Landfriedensbruch“, wütet er.
Schließlich habe auch er ein „Recht auf Heimat“, das ihm angesichts der „von Deutschen entvölkerter Stadtteile“ streitig gemacht würde, von den Unsummen, die Einwanderer ihn als Steuerzahler kosteten, einmal ganz zu schweigen.
Ohne es zu ahnen, hatte der Mann den Nagel auf den Kopf getroffen: „Sie liefern exakt den ideologischen Hintergrund für die national befreiten Zonen, mit denen wir es in Brandenburg zu tun haben“, konterte Bernd Wagner, Kriminologe und Mitarbeiter der Regionalen Arbeitsstelle für AusländerInnen, fast dankbar.
Anstatt in einem fort über rechte Gewalt zu diskutieren, solle man sich doch endlich mit der „intergenerativen Koalition“ beschäftigen, die es überhaupt erst ermögliche, daß man als Linker in weiten Teilen Brandenburgs keinen Fuß mehr auf den Boden bekäme. „Ethnozentrismus ist eine Realität, über die gesprochen werden muß. Sonst hantieren wir weiter mit Erlebnispädagogik herum, ohne viel weiter zu kommen.“ Die Zeiten der einst als „Wunderwaffe“ gehandelten Sozialpädagogik seien in diesem Bereich nämlich schon längst vorbei.
Die aus Brandenburg angereisten Experten Bernd Wagner sowie Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg lieferten vorgestern abend im Abgeordnetenhaus so einige wertvolle Hinweise für die Berliner Diskussion – auch wenn das Thema „Rechts – was nun?“ doch eigentlich längst bis zum völligen Überdruß ausgewalzt wurde.
So kritisierten beide implizit schon die oft gestellte Eingangsfrage „Rechte Tendenzen unter Jugendlichen – diffuse Protesthaltung oder politisch motiviert?“ Diese Frage stellen sich schließlich nicht nur die Grünen, sondern auch Polizei und Staatsanwälte.
„Wenn fünf Glatzköpfe auf einem Schwarzafrikaner rumtrampeln, ist der Sachverhalt eindeutig“, so Rautenberg. „Wenn dann einer argumentiert, es sei zweifelhaft, ob es ein ausländerfeindliches Motiv gebe, ist das eine abenteuerliche Bewertung.“
Auch in den dreißiger Jahren, so der Generalstaatsanwalt, hätten die meisten Jungnazis vermutlich nur blöde Sprüche von sich gegeben und überhaupt nicht ernsthaft politisch argumentiert.
Man müsse ja gar nicht von politischer Motivation reden, bekräftigte Wagner die Vermutungen des Generalstaatsanwaltes, aber der Terminus „rechtsextreme Straftat“ werde durchaus sowohl Tätern wie Opfern gerecht. Der Kriminologe Wagner warnte vor allem auch davor, den Eindruck der „Diffusität“ mit Ungefährlichkeit gleichzusetzen. „Gerade diffuse Einstellungen können unglaublich kraftvolle Reaktionen hervorrufen. Den Opfern kann das letztlich egal sein.“
Der Berliner Mitarbeiter des Streetworkerprojekts Gangway, Dieter Both, hatte an dem Begriff „Diffuse Protesthaltung“ etwas ganz anderes auszuseten: „Wogegen sollen die denn protestieren? Die sind sich doch mit einem großen Teil der Bevölkerung einig.“ Womit eigentlich auch geklärt wäre, daß Veranstaltungen über „rechte Jugendliche“ zwar publikumswirksam, aber politisch wenig gewinnbringend sind. Jeannette Goddar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen