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Ölpiraten und Osmose Von Wiglaf Droste

Eine kräftige Wintersonne warf lange, dicke Lichtbündel durchs Fenster und durchströmte das Lokal, als hätte Gott persönlich das Flutlicht angeknipst. Es war früher Nachmittag; das Café, ein großer Raum mit hellem Holzfußboden und hoher Decke, war noch schwach besucht. Nur drei der etwa 20 Tische waren besetzt, und die wenigen Besucher tranken Kaffee und lasen Zeitung. Es war still.

Ich las den neuen Roman von Janwillem van de Wetering, Ölpiraten. Knapp zwei Jahre hatten die Leser des in Maine lebenden niederländischen Autors auf etwas Neues von van de Wetering warten müssen, aber jetzt fing er gleich gut an. „Manche Leute arbeiten“, schrieb er, „daran ist nichts auszusetzen. Arbeit ist nichts Unrechtes. Wenn sie jemand tun muß, ist das vollkommen in Ordnung.“

Das war doch mal eine entspannte Haltung. Statt sauer verbissenem Schuften anzuhängen und „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!“ oder, wie Richardvonweizsäcker und Mariongräfindönhoff, aggressiv von „Pflichtethik“ zu knurren, lehnte man sich lässig und großzügig zurück und drehte den preußischen Spieß ironisch um: Arbeit ist ganz okay. Ihr müßt euch deshalb nicht schämen.

So schien es auch die Kellnerin zu halten. Sie entledigte sich ihrer Aufgabe mit Überblick und Gewandtheit und hatte diese Mischung aus Distanziertheit und Natürlichkeit, die in älteren Krimis gerne mit Klasse umschrieben wird. Eben nahm sie eine CD zur Hand, und ich faßte sie wohl etwas besorgt ins Auge, weil ich Gedudel fürchtete, Ruhestörung und Lärm. Sie fing meinen Blick auf, lächelte mir beruhigend zu und legte die CD ein.

Großstadtmusik bröckelte aus der Trompete von Miles Davis. Der Moment war magisch; die Kellnerin hatte exakt meine Stimmung getroffen. Beglückt nickte ich ihr zu und wandte mich wieder van de Wetering zu: „Der sterbende Mann setzte sich auf. Er lächelte de Gier an. ,Wie dumm von mir‘, sagte er. ,Mein Leben lang habe ich mich darüber gewundert, und ich hätte es erkennen können, wenn ich nicht immer so beschäftigt gewesen wäre.‘ Seine Stimme war heiser und tief. ,Es ist schön und einfach zugleich.‘ ,Was?‘ fragte de Gier, aber der sterbende Mann war gestorben.“

Ein Pärchen betrat den Raum und verstieß brutal gegen das Erste Osmotische Gesetz, welches besagt, daß sich die Teile gleichmäßig im Raum zu verteilen haben. Obwohl doch reichlich Platz vorhanden war, setzten sie sich direkt an den Tisch neben meinem und begannen schlagartig und laut ein Beziehungsgespräch. Offenbar hielten sie es allein mit sich nicht aus und brauchten Zuhörer, um im aufrechnenden, kleinlichen Ton das Elend der menschlichen Bindungen auszubreiten. „Du unterdrückst mich situativ“, hörte ich sie sagen, und weil sie das Wort frisch gelernt hatte, brachte sie es noch mehrmals zur Anwendung. „Situativ! Verstehst du: Situativ!!“

Wenn es um Zauber geht, gibt es keine Wiederholungstaste. Simpler gesagt: Die Stimmung war unwiederbringlich dahin. Ich winkte der Kellnerin. „Die Herrschaften möchten zahlen“, sagte ich, warf dem verdutzt glotzenden Pärchen einen Zehner auf den Tisch, entbot der Kellnerin meinen Gruß und eilte davon, neuen Abenteuern entgegen.

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