■ Der Rückzug Frankreichs aus der Zentralafrikanischen Republik hinterläßt ein Vakuum. Kann die UNO die Region stabilisieren?: Der Abzug aus dem Hinterhof
Der Rückzug Frankreichs aus der Zentralafrikanischen Republik hinterläßt ein Vakuum. Kann die UNO die Region stabilisieren?
Der Abzug aus dem Hinterhof
Nach Jahren des Rückzugs könnten die Vereinten Nationen demnächst in Afrika ein neues Tätigkeitsfeld entdecken. In diesen Tagen soll der Weltsicherheitsrat entscheiden, ob die UNO einem Vorschlag ihres Generalsekretärs Kofi Annan folgen soll, eine Blauhelmtruppe in die Zentralafrikanischen Republik zu schicken. Ein positives Votum gilt als sicher, da sowohl Frankreich wie die USA den Vorschlag unterstützen.
Die 1.400 Mann starke „Minurca“ soll die afrikanische Friedenstruppe „Misab“ ablösen, die seit knapp über einem Jahr in der Zentralafrikanischen Republik zur Beendigung einer Armeemeuterei stationiert ist. Mit dem UN-Einsatz würde zudem der bisherige französische Hinterhof in Afrika internationalisiert. Denn die Zentralafrikanische Republik gehört zusammen mit Kongo/Ex-Zaire und Kongo-Brazzaville zu den Ländern, die von den jüngsten geopolitischen Umwälzungen in Afrika am meisten betroffen sind. Die drei bisherigen UNO-Resolutionen zum Thema betonen, daß die Krise in dem Land eine Gefahr für den Frieden in der Region darstellt.
Lange Zeit war die Zentralafrikanische Republik mit 1.400 französischen Soldaten die wichtigste militärische Drehscheibe für Paris in Afrika. Auf die französischen Basen in der Hauptstadt Bangui und dem Ort Bouar stützte sich sowohl der Krieg gegen Libyen im Tschad in den 80er Jahren wie auch die Militäreinsätze in Ruanda in den 90er Jahren. Aber im Sommer 1997 kündigte Frankreich an, sich aus der Zentralafrikanischen Republik zurückzuziehen. In Zukunft soll der Tschad, politisch stabiler und ökonomisch interessanter, Frankreichs Sprungbrett in Afrika sein.
Der Abzug Frankreichs, der bereits im Gange ist, hinterläßt ein politisches Vakuum. Bisher stützten sich alle Regime in Bangui auf die Macht der französischen Gewehre. Auch der jetzige Präsident Ange-Felix Patassé, der zum Zeitpunkt seiner Wahl 1993 noch als Gegner Frankreichs galt, hat das schätzen gelernt. Die Befürchtung ist verbreitet, daß die Regierung in Bangui fällt, wenn Frankreich geht. Die 800 Mann starke afrikanische Friedenstruppe Misab, die seit Februar 1997 in Bangui stationiert ist und von Gabun und Tschad geführt wird, ist finanziell und logistisch von Frankreich abhängig. Das friedenserzwingende Misab-Eingreifmandat läuft am 15. März ab; bis dahin muß die UNO ihre Entscheidung treffen. Wahrscheinlich ist, daß das Misab- Mandat noch einmal um einen Monat verlängert wird, so daß die afrikanische Truppe zum 15. April — Frankreichs finaler Abzugstermin — erweitert und zur Minurca umdefiniert wird.
Schützenhilfe für den Präsidenten
Die UNO-Mission, die nach Annans Vorstellung vor allem „ein sicheres Umfeld in der Hauptstadt“ garantieren soll, böte also in letzter Instanz Schützenhilfe für Präsident Patassé — und zugleich politische Bestätigung für seine Gegner. Seit Mai 1996 hat Patassé drei große Meutereien der Armee überstanden — geführt von Anhängern des früheren Diktators André Kolingba, ein alter Freund Frankreichs, der 1993 gegen Patassé die Wahlen verloren hatte. Zum Führer der Meuterer avancierte der junge Militär Anicet Saulet, zu Kolingbas Zeiten Direktor der staatlichen Telekom-Gesellschaft, seit 1994 wegen Korruption im Gefängnis saß und während des ersten Aufstandes aus der Haft befreit wurde. Auf militärischer Ebene entwickelte sich die Meuterei als Kampf der Soldaten aus Kolingbas Yakoma-Ethnie in der Armee gegen die Soldaten von Patassés Baya-Ethnie in der Präsidialgarde.
Das Glück der Meuterer war, daß auch zivile Gegner Patassés sich ihren Klagen über Korruption und Tribalismus anschlossen. So haben alle Lösungsversuche seitdem darin bestanden, über eine Machtteilung die militärische Konfrontation zu entschärfen und politische Reformen in Gang zu setzen.
Seit anderthalb Jahren, mit Unterbrechungen, regiert in Bangui ein Allparteienkabinett, während die Misab-Truppe den Frieden wahrt und auch zuweilen mit Gewalt erzwingt. Daneben wurden politische Reformpakete geschnürt. Der endgültige „Pakt zur nationalen Versöhnung“ wurde vergangene Woche unter großem Pomp in Anwesenheit mehrerer afrikanischer Staatschefs unterschrieben. Bei der „Versöhnung“ geht es nicht nur um demokratische Errungenschaften wie ein neues Wahlgesetz und eine Armeereform, sondern auch zum Beispiel um die Einstellung von Gerichtsverfahren wegen Korruption gegen ehemalige Angehörige der Kolingba-Diktatur. Im Sommer sollen Parlamentswahlen folgen, überwacht von der UNO.
Allerdings herrscht zwischen Patassé und seinen Gegnern extremes Mißtrauen (siehe Interview). Denn die regionale Konstellation ist explosiv und wirkt in die zentralafrikanische Innenpolitik hinein. Viele Ethnien der Zentralafrikanischen Republik sind eher mit ihren Nachbarn im Kongo oder Tschad verbunden als mit dem Rest des riesigen Landes, dessen verschiedene Teile mangels Infrastruktur kaum zusammenhängen. Während Patassé aus dem Norden als mit dem Tschad liiert gilt, war Kolingba ein Freund Mobutus in Zaire. Um die 45.000 Flüchtlinge aus Zaire kamen nach Mobutus Sturz ins Nachbarland, darunter zwischen 5.000 und 9.000 ehemalige Soldaten und Präsidialgardisten und dazu Tausende ruandische Hutu-Kämpfer. Sie sollen nun dabei sein, sich an der zentralafrikanischen Südgrenze neu zu gruppieren und aufzurüsten. Beide politischen Lager in Bangui beschuldigen sich gegenseitig, die fremden Kämpfer als Söldner anzuwerben.
Sollten einmal alle Seiten in Bangui wieder Krieg wollen, ist zu bezweifeln, daß die UNO den Frieden wahren kann. Dominic Johnson
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen