: Moderieren ist nicht schwer, berühmt zu sein aber sehr
■ Der private Radiosender r.s.2 setzt Moderatoren mit einer „Berühmtheitsklausel“ unter Druck
Es klang wie ein Nachruf. „Heute morgen ist 94.3r.s.2-Moderator Jochen Trus nicht mehr zum Dienst erschienen“, hieß es gestern in einer Pressemitteilung des privaten Radiosenders. Doch hinter dem Schreiben verbirgt sich kein Todesfall, sondern die gnadenlose Härte auf dem Radiomarkt in der Stadt. Während der Kampf um die Hörergunst bisher mit viel Geld und Gewinnspielen ausgetragen wurde, hat jetzt bei den Privaten eine ganz perfide Radio-Ära begonnen. Die r.s.2-Macher haben erstmals eine „Berühmtheitsklausel“ im Arbeitsvertrag festgeschrieben. Sie besagt, daß der Moderator binnen 30 Tagen als Morgenmann eingeführt sein muß, sonst wird der Vertrag nicht verlängert.
Also hat Trus, der selber auf der Klausel bestand, in seinem Morgenprogramm „Radiowecker“ ganzen Einsatz gezeigt, um in den Ohren der Hörer einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Erfahrungen in diesem Geschäft bringt er mit. Trus war bis Ende September Moderator bei einem der Hauptkonkurrenten von r.s.2, bei 104,6RTL-Radio. Seine folgenden Berühmtheitsaktionen lesen sich wie ein Ausriß aus dem Guinness- Buch: Erst ließ sich Trus für r.s.2 aus 3.000 Meter Höhe aus einem Flugzeug fallen, einen Tag später sendete er aus einem Löwenkäfig, kurz darauf ritt er auf einer Kuh durch die Stadt und brachte der BVG frisch gemolkene Milch, wenig später ließ er sich von einem Magier zersägen. Schließlich erschien sein Konterfei in einer limitierten Edition von 10.000 Briefumschlägen, die die Deutsche Post AG herausgab. Der letzte Heldenakt des unerschrockenen Radiomannes ging am Dienstag über den Äther, als er in einer Atemschutzübungsstrecke durchs Feuer ging.
Und nun soll alles für die Katz gewesen sein? Denn die Berühmtheitsklausel ist nur dann erfüllt, wenn mindestens 5.000 Hörer nach 30 Tagen wissen, wer Jochen Trus ist. Weil nun aber in der dafür vorgesehenen Sendezeit von fünf Stunden die Marge nicht ganz erreicht wurde und die Geschäftsführung sich noch nicht zur Vertragsverlängerung geäußert hat, hat Trus gestern die Konsequenzen gezogen. In einem Brief an seinen Chef schrieb er, daß er den Eindruck habe, er sei im Sender nicht gewollt. „Die Berühmtheitsklausel müßte nach seinem Verständnis jetzt endlich erfüllt sein“, schrieb die Pressestelle. Etwa 250 r.s.2-Mitarbeiter demonstrierten gestern für Jochen Trus in der Voltastraße. Pressesprecher Michael Weiland zeigte sich zuversichtlich, daß auf einer „kleinen privaten Feier“ anläßlich von Trus' 40. Geburtstag eine „einvernehmliche Lösung“ gefunden werde. Barbara Bollwahn de Paez Casanova
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