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Arizona liegt jetzt in Hessen/Deutschland

Halbzeit bei den Koalitionsverhandlungen von Union und FDP in Hessen. Innenpolitisch soll künftig hart durchgegriffen werden. Der FDP wird die „Dreiprozenthürde“ bei Kommunalwahlen geschenkt  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wiesbaden (taz) – Der Mann aus dem Westen, dessen hugenottische Vorfahren Ende des 17. Jahrhunderts aus dem katholischen Frankreich flüchteten und im reformierten Großherzogtum Hessen-Kassel als Asylanten ein Bleiberecht zuerkannt bekamen, heißt Volker Bouffier (CDU). Der designierte Innenminister im Kabinett von Roland Koch (CDU) ist 47 Jahre alt und die Inkarnation der Wahlkampfparole der hessischen Union zum Thema Innere Sicherheit: „Hart durchgreifen.“ Der Mann läuft wie Gary Cooper vor dem Showdown on Mainstreet, redet rauh wie Lee Marvin. Bei Gefahr kann er „Schlangenaugen“ machen wie die schießwütige Schwester von Dustin Hofmann in Little Big Man. Volker Bouffier, der geborene Innenminister für die Konservativen in Hessen. Und der Schrecken aller „amtsbekannten Krawallmacher und Rädelsführer“ (Bouffier). Die sollen jetzt „vor Großereignissen, von denen Gewalt ausgehen könnte“, für bis zu sechs Tage in einem „Unterbindungsgewahrsam“ verschwinden dürfen.

Das ist ein Ergebnis der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP auf dem Feld der Innenpolitik. Ein anderes ist die „freiwillige Polizeireserve“: Bürger entlasten die Polizei bei der Verkehrsüberwachung, beim Innendienst und auf Streife. Auch eine „Wachpolizei“ wird es künftig in Hessen geben, eine bewaffnete Polizeitruppe, die Konsulate schützen, bei Sportveranstaltungen oder politischen Events die Aufgaben der nach Bouffiers Ansicht überlasteten regulären Polizei übernehmen soll.

Nach dem überraschenden Wahlsieg von Union (43,4 Prozent) und FDP (5,1 Prozent) fährt Bouffier die innenpolitische Ernte ein. In Hessen wird die verdachtsunabhängige „Schleierfahndung“ eingeführt. Rasterfahndung hieß das zu Zeiten der RAF-Hysterie. Eine „rückwärtsgewandte Politik“ nennt das die SPD heute.

Und wer soll das alles bezahlen? Bouffier wußte es in der vergangenen Woche nicht zu sagen. Noch im Wahlkampf hatten Union und FDP die „hohen Personalausgaben“ unter SPD und Bündnisgrünen scharf kritisiert. Jetzt sollen 1.000 neue „Wachpolizisten“ unter Waffen genommen werden. Geplant sind zudem „rund 1.400 neue Lehrer in Vollzeit“, wie die designierte Kultusministerin Karin Wolff (CDU) am Dienstag ankündigte. Die Kosten dafür? „Das muß noch ausgerechnet werden“, sagt Wolff.

Fest steht bislang nur, daß CDU und FDP das Tafelsilber des Landes „schrittweise“ komplett verkaufen wollen: die landeseigenen Wohnungen und sämtliche Beteiligungen. Alle staatlichen Leistungen würden daraufhin überprüft, ob sie privatisierungsfähig seien, sagte gestern der designierte Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP).

Die „Freiheitspartei“ FDP macht gute Mine zum bösen – innenpolitischen – Spiel der Union. Mit der „Dreiprozenthürde bei Kommunalwahlen“ wurden die Liberalen ruhiggestellt. Ein „Selbsterhaltungsprogramm für die FDP“ nannten das die Bündnisgrünen, die demnächst vielleicht selbst von dieser Änderung der Kommunalverfassung profitieren. Der Landesgeschäftsführer der SPD, Volker Halsch, warf Union und FDP vor, „rechte Parteien salonfähig machen zu wollen“. Hätte es bei den Kommunalwahlen 1997 schon die „Dreiprozenthürde“ gegeben, wären REP und/oder NPD in die Kommunalparlamente von acht Kreistagen oder kreisfreien Städten eingezogen, wetterte Halsch: „Die CDU/ FDP-Koalition will offensichtlich einen Ruck nach Rechts.“

Die so Kritisierten ficht das nicht an. Der „mündige Bürger“ erhalte „mehr Wahlmöglichkeiten“, konstatierte der innenpolitische Sprecher der FDP, Jörg-Uwe Hahn, auch mit Blick auf die geplante Einführung des „unmittelbaren Persönlichkeitswahlrechts“. Wie in Bayern soll auch in Hessen kumuliert und panaschiert werden dürfen bei Kommunalwahlen. Das heißt: Stimmen häufeln auf einen oder wenige Kandidaten; oder Stimmen breit streuen und auf Kandidaten aus mehreren Listen verteilen. Union und FDP sind auch fest entschlossen, die von SPD und Bündnisgrünen beschlossene Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre wieder rückgängig zu machen. Vielleicht ein Segen auch für die Grünen. Denen liefen bei der Hessen-Wahl ausgerechnet die Jungwähler zur CDU weg.

Zur Halbzeit der Koalitionsverhandlungen erklärte Bouffier jedenfalls nicht ohne Chuzpe, daß demnächst wieder „Bürgerinteresse statt Ideologie“ vor allem die Innenpolitik dominiere: „entschiedene Verbrechensbekämpfung, mehr Rechte für die Bürger, eine stärkere Beteiligung auf kommunaler Ebene“. Das sei „ein guter Auftakt für die neue Koalition“.

Für andere nimmt „ein neues Land“ Gestalt an. In dem bislang als liberal apostrophierten Hessenland sei die „Balance zwischen der Kriminalitätsbekämpfung und den Freiheitsrechten der Bürger gefährdet“, warnte der Landtagsabgeordnete der Grünen, Tarek Al- Wazir. „Arizona“ nennen einige Sozialdemokraten das Land schon vor der Vereidigung der „bayerischen Regierung“ Koch am 7. April und Bouffier „den Marshall“. „Der Herr Bouffier“, sinnierte Al-Wazir schon vor der Hessen-Wahl laut und ketzerisch, der wäre heute noch Franzose – bei der „Integrationspolitik“ der Union.

In der neuen Schulpolitik sei die „Rolle rückwärts“ von Union und FDP gleichfalls schon vollzogen: „Ausgrenzen statt integrieren“, heiße die neue Losung, moniert Al-Wazir. Den muttersprachlichen Unterricht etwa wolle die Koalition „schrittweise ausbluten“. Die designierte Kultusministerin Wolff (CDU) wollte dieser Konklusion nicht widersprechen: Der muttersprachliche Unterricht sei ein abzuschaffendes „Relikt aus der Gastarbeiterzeit“.

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