piwik no script img

Was ist bloß mit den Löwen los?

Eine lange gut laufende Saison läuft auf eine persönliche Niederlage von Trainer Lorant hinaus. Dabei ist Champions League einfach eine Nummer zu groß für 1860 München  ■ Von Fred Stein

München (taz) – Als Torwart des TSV 1860 München zu arbeiten, muß diesmal etwas Entsetzliches gewesen sein. Jedenfalls stand Michael Hofmann zornig-verwirrt im Olympiastadion nach erfolglos beendetem Dienst gegen Bayer Leverkusen und brüllte seinen Schmerz übers Berufliche in die schwarze Münchner Nacht. 0:2 verloren durch Tore von Emerson (47.) und Ze Elias (72.) und damit noch schmeichelhaft niedrig bestraft – das war zuviel für Hofmann. „Daß wir auf einmal so sang- und klanglos im Mittelfeld stehen, kann niemanden zufriedenstellen.“ Himmel! „Viermal in Folge verloren, wenn das so weitergeht, kriegen wir Schwierigkeiten.“ Und zwischendurch plärrte er: „Wieso wir hier so negativ spielen, muß einen Grund haben, aber den kann ich öffentlich nicht nennen.“ Anders ausgedrückt: „An was es genau liegt, dazu möchte ich mich nicht äußern, das wird der zuständige Bereich machen.“

Kryptisch, kryptisch, wie so vieles dieser Tage bei 1860 München. Irgendwie tapst alles in und um 1860 im dunkeln wegen der Formschwäche '99. Oder wie es Präsident Karl-Heinz Wildmoser so treffend formulierte: „Keiner weiß, was los ist.“ So ansehnlich hat 1860 in der Hinrunde aufgespielt, daß es sich in die Winterferien als stolzer Vierter verabschiedete und ums Giesinger Firmenanwesen viel Gerede von der freudvollen Aussicht auf eine Champions-League-Teilnahme kursierte.

Aber jetzt? Vor dem Spiel in Wolfsburg am Samstag ist es miserabel bestellt um den Emporkömmling. Ein Spiel erst gewonnen seit der Kalender 1999 anzeigt (4:1 gegen Frankfurt), ansonsten auffällig geworden durch Aufbauhilfe für die Kellerklubs Mönchengladbach (0:2), Nürnberg (1:2), Bochum (0:2). Und zuletzt gegen Leverkusen so rettungslos unterlegen, daß man fragen mußte: Ist 1860 tatsächlich Bundesligist?

Nichts klappt mehr. Jenseits jeder Spielintelligenz taumelt die Mannschaft durch ihr Pflichtprogramm. Auf konsequentes Flügelspiel ist das 1860-System ausgerichtet, mit den zentralen Figuren Ned Zelic und Libero Gerald Vanenburg. Ohne deren ordnende Kraft ist 1860 verloren, dachte man immer, und glaubte auch den Beweis dafür zu sehen, wenn Vanenburg fehlte und Zelic sich aus der Defensivzentrale im Mittelfeld auf die Posten Manndecker oder Abwehrchef zurückziehen mußte. Aber seit dem Leverkusen-Spiel steht die Erkenntnis: 1860 spielt zur Zeit auch schlecht, wenn beide in der ersten Elf stehen und ihren angestammten Jobs nachgehen.

Alles sehr schlimm, so schlimm, daß selbst Trainer Werner Lorant, der sonst so gerne blafft, nichts anderes mehr zu sagen weiß als kleinlaut-freundlich: „Wir haben momentan nicht die Form.“ Vor allem für ihn ist die Situation verfahren, weil er ja versprochen hatte, daß die Rückrunde – wie immer bei 1860 – besser werde als die Vorrunde. Auf Platz eins hat er sein Team sogar getippt zum Start ins neue Jahr – jetzt bröckelt der Sockel, den es ihm gemauert hat, und wenn den Löwen nicht irgendwann doch noch mal so etwas wie ein Sieg passiert, könnte diese Spielzeit, die die beste seit dem Gewinn der Meisterschaft 1966 zu werden schien, in einer ganz persönlichen Lorant-Niederlage enden. Derzeit bleibt ihm nichts anderes übrig, als dürre Erklärungsmodelle zu liefern. Das aktuellste diktierte er am Mittwoch: „Einen kleinen Knacks“ habe das Team, seit man vor vier Spielen bei Hertha besser war und doch verlor.

Tatsächlich aber ist es so, daß es gar nicht anders hat kommen können, als es gekommen ist. Lorant auf dem Weg in die Champions League? Dazu ist er immer noch viel zu sehr der knarzige Biedermann ohne die Weisheit und Gelassenheit, die es braucht, um in München Erfolg zu verwalten. So einfach ist das nämlich gar nicht: Der FC Bayern hat die Tradition begründet, daß mit gehobenem Niveau gleich die Ansprüche steigen. Schnelle Zufriedenheit gibt es hier nicht und auch keine Medien, die Zwischenbilanzen anerkennen. Die amüsieren sich lieber, wenn Lorant seinen Kapitän Winkler verreißt, der prompt beleidigt zurückschlägt („werde mir Gedanken machen“) und damit wiederum den urbayerisch tapsigen Wildmoser herausfordert („ich mache mir auch Gedanken“).

Die Ebene, auf der 1860 kurz schwebte, liegt eben ein paar Stockwerke zu hoch für den Klub mit seinem Durchschnittspersonal. Eigentlich stellt sich weniger die Frage, wie die Löwen so schlecht werden konnten, sondern eher: Wie konnten sie jemals so gut sein? Ein Rätsel, das alle überfordert. Auch Sportsmann Hofmann. Der sagt: „Ich weiß nur, daß ich im Tor steh'.“ Und das ist schlimm genug.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen