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Bleib dran. Nerv sie, bis sie es dir sagen“

■ Aus dem harten Leben eines Nachwuchsjournalisten. Über den täglichen zähen Kampf um Informationen, Meinung – und vor allem um den Platz in der Zeitung. Ein taz-Praktikant zieht Bilanz

Der Tag hatte viel versprechend angefangen. Ich war früh aufgstanden, um den ersten Zug nach Berlin zu nehmen. Um zehn musste ich in der Redaktion einer angesehenen tageszeitung sein. Ich hatte versprochen, übers Wochenende einige Artikel zu schreiben. Wie üblich hatte ich den Mund zu voll genommen. Und nichts gemacht.

Innerhalb einer Stunde hatte ich einen Kommentar über die Liberalisierung des Strommarktes geschrieben. In der Redaktion angekommen, habe ich gleich mit der Bewag telefoniert. Die wollten die neusten Zahlen, wie sich die Berliner nun bei den Stromtarifen entschieden haben, aber nicht herausrücken. Zehnmal habe ich angerufen und genervt. „Dein Artikel wird Aufmacher“, versprach der Chef vom Dienst. „Bleib dran. Nerv die so lange, bis sie es dir sagen.“

Also habe ich den Herrn Knopf von der Bewag wieder angerufen. „Nein, wir sind noch nicht fertig, aber wir arbeiten dran. Ich bezweifle allerdings, dass die Presseerklärung heute noch rausgeht.“ Ich drängelte und bettelte. „Also gut.“ Endlich hatte ich die Zahlen. Nur wenige waren abgesprungen, und die meisten Kunden hatten das gemacht, was sie am liebsten tun, nämlich gar nichts, und so bekamen sie automatisch BerlinKlassik. Wunderbar.

Um fünf war mein Text fertig. Der erste Aufmacher. Was für eine Geschichte! Ich hatte die Zahlen der Bewag herausgefunden. Vor allen anderen. Die Mühen der letzten Woche hatten sich gelohnt, die aufwendige Recherche, die studenlangen Telefonate mit der Bewag, mit Greenpeace, dem World Wide Fund for Nature, der Atomstrom AG und mit dem Call-Center von Yello, die mich nicht weiterleiten wollten. Egal. Das war jetzt unwichtig. Wichtig waren die Zahlen. Und dass ich sie hatte, dass mein Name über dem Aufmacher stand. Morgen würden tausende Berliner die Zeitung aufschlagen und zuerst meinen Artikel lesen. Endlich hatte ich es geschafft.

Jetzt musste ich nur noch diesen fulminanten Kommentar abtippen, den ich schon im Zug vorformuliert hatte. Aufmacher und Kommentar. Ich füllte die ganze Seite. Der Kommentar sollte „Prima leben und sparen“ heißen. Schon der erste Absatz war grandios: „Die Liberalisierung des Strommarktes macht Energieverschwendung erst richtig günstig. Endlich kann die Stand-by-Funktion von Fernsehern wieder reinen Gewissens genutzt werden. Das kostet nur 250 Mark im Jahr für einen gut ausgestatteten Privathaushalt. Aber mit Atomstrom lässt sich nun ja prima leben und sparen.“ Über die Scheindebatte der Stromtarife wollte ich darauf aufmerksam machen, dass niemand mehr von Stromvermeidung sprach. Respekt musste man mir fortan in der Redaktion zollen. Niemand würde mehr „Praktikant“ zu mir sagen. Zweifellos würde man mir eine Festanstellung anbieten. Aber ich würde ablehnen. Mein Bruder hatte mir eingeschärft: „Kein fester Job und keine Freundin vor dreißig, das macht dich nur kaputt.“

Außerdem durfte ich mich nicht gleich festsetzen lassen. Jedenfalls nicht nach diesem Kommentar. Leider fehlte der Berlin-Bezug. Und leider war es auch schon kurz vor Redaktionsschluss, und die fehlenden vierzehn Zeilen wollten mir nicht einfallen. Der letzte Satz war doch schon geschrieben. „Am besten bleibt das Licht aus.“ Das war nicht nur die äußerste logische Zuspitzung eines einzigartigen Gedankens, sondern gleichzeitig eine böse Replik auf Goethes berühmten letzten Satz. Im Unterschied zu ihm würde ich aber noch weiterschreiben, schrieb also gewissermaßen über ihn hinaus, hatte Goethe, den Dichterfürsten, schon in meinen jungen Jahren längst hinter mir gelassen. Was sollte da noch kommen?

Vierzehn Zeilen. Vierzehn verfluchte Zeilen sollten noch kommen. Aber sie kamen nicht. Nichts kam. Außer dem Chef vom Dienst. „Du brauchst dich nicht mehr zu quälen. Ich habe gerade einen Kommentar geschrieben. Mach dir nichts draus.“ Nein, warum auch. Immerhin hatte ich ja noch den Aufmacher. Und überhaupt: Wer interessiert sich schon für Kommentare? Die Leute wollen Informationen.

Nachts, im Bett, bin ich aufgewacht. Warum hatte der CvD „Mehr dazu auf Seite 20“ unter den Kommentar geschrieben? Der Aufmacher ist doch auf Seite 19. Seite 20 schaut sich doch kein Mensch an, da gibt es nicht mal Fotos. Was ist ein Text ohne Fotos? Ich beruhigte mich. Wahrscheinlich hatte er sich versehen. Morgen würde man mich feiern, meinen Aufmacher, den unverwechselbaren Stil und vor allem die Tatsache, dass ich die Zahlen als Erster bekommen hatte. Wir waren den anderen Blättern so weit voraus. Ich war so weit voraus.

Als ich am nächsten Morgen die Zeitung aufschlug, stand auf Seite 19 ein Interview mit irgendeiner Psychologin. Darunter ein Stück über die Koalitionsverahndlungen von SPD und CDU. Und natürlich der Kommentar, der andere, versteht sich. Ganz unten, klein gedruckt, stand das, woran ich noch in der Nacht hatte denken müssen: „Mehr auf Seite 20“. Und ganz oben auf der nächsten Seite war mein kleiner Artikel über die Bewag. Ohne Foto. Das war das Ende. Jan Brandt

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