piwik no script img

Klimaschutz ohne Kohle und Atom

Der weltweite Energiebedarf ließe sich 2050 zur Hälfte mit erneuerbaren Energien decken, lautet das Ergebnis einer gemeinsamen Studie von Greenpeace und Wirtschaft. Die Erde würde weniger warm. Und billiger wäre es auch noch

„Es ist eine Frage des politischen Willens. Technische Barrieren gibt es nicht“

AUS BERLINSTEPHAN KOSCH

Erneuerbare Energien decken 50 Prozent des weltweiten Energiebedarfs, der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids sinkt um 50 Prozent, Atomkraft und Braunkohlekraftwerke sind Geschichte. All das ist möglich bis 2050, wenn man dem Szenario „Energy (R)evolution“ glaubt, das gestern von Greenpeace und dem europäischen Erneuerbaren-Energien-Industrieverband (Erec) vorgestellt wurde. „Es ist nur eine Frage des politischen Willens – technische und ökonomische Barrieren gibt es nicht“, sagte Erec-Politikdirektor Oliver Schäfer.

Der Report, der zusammen mit dem Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrttechnik sowie 30 weiteren Wissenschaftlern und Ingenieuren aus der ganzen Welt erstellt wurde, setzt einen bewussten Kontrapunkt zu den Schätzungen der Internationalen Energie-Agentur (IEA) in Paris. Diese erwartet bei einer Entwicklung ohne Klimaschutzmaßnahmen in den kommenden vier Jahrzehnten eine Verdoppelung des Energiebedarfs weltweit. Der würde dann zu 80 Prozent von fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas gedeckt werden. Somit würde doppelt so viel Kohlendioxid in die Luft geblasen werden wie heute – das für den Klimaschutz wichtige Zwei-Grad-Ziel wäre nicht zu schaffen. Doch nur, wenn sich die Durchschnittstemperatur der Erde um höchstens zwei Grad im Vergleich zu 1990 erwärmt, wären die Auswirkungen des Klimawandels noch beherrschbar, heißt es in der Wissenschaft.

„Der weltweite Temperaturanstieg liegt bislang bei 0,8 Grad“, sagt Jörg Feddern, Energie-Experte von Greenpeace. Er erwartet von der aktuellen Klimastudie der Vereinten Nationen, die in der kommenden Woche vorgestellt wird, noch dramatischere Zahlen. „Die Zeit wird knapp.“

Allerdings gebe es auch eine gute Nachricht, sagt Feddern. Das Weltenergieszenario zeige, dass Wirtschaftswachstum auch ohne Klimazerstörung, Braunkohle und Atomenergie möglich sei. Dazu müsse zunächst die produzierte Energie sparsamer eingesetzt werden. Bei Pkws ließe sich der Verbrauch durch leichtere Materialien um 24 Prozent senken, 13 Prozent könnten durch bessere Wärme-Isolierung eingespart werden, 11 Prozent bei der Industrie, zum Beispiel durch den Einsatz effizienterer Pumpen, und 5 Prozent bei der Beleuchtung. Macht insgesamt 47 Prozent weniger Verbrauch als die Internationale Energie-Agentur annimmt. Damit würde der Verbrauch 2050 sogar leicht unter dem heutigen liegen.

Und dieser könnte dann beim Strom zu 70 Prozent mit erneuerbaren Energien gedeckt werden, glauben die Autoren der Studie. Dazu müssten allerdings politische Entscheidungen getroffen werden. So fordert Schäfer eine Abschaffung der Subventionen für fossile und atomare Energieträger, die nach UN-Schätzungen weltweit mit 250 Milliarden Euro unterstützt würden. Zudem müsse das Verursacherprinzip gelten: Wer Kohlendioxid in die Atmosphäre bläst, muss dafür bezahlen. Außerdem sollte die Politik klare Zielvorgaben für das Wachstum der erneuerbaren Energien weltweit machen.

Auch ökonomisch mache das Konzept Sinn, sagte Schäfer. Die Studie geht für 2050 von einem Ölpreis in Höhe von 100 US-Dollar (zurzeit gut 55 Dollar) und Kosten für eine Tonne Kohlendioxid von 50 US-Dollar (derzeit 4,50 Dollar) aus. Auf dieser Grundlage erwarten die Forscher weltweite Ausgaben in Höhe von rund 3 Billionen US-Dollar für Energie im Jahr 2050. Das wäre zwar eine Verdreifachung im Vergleich zu heute. Allerdings: Die IEA erwartet in ihrem Szenario eine Vervierfachung der heutigen Kosten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen