: Frost an der Wolga
AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH
Die Teilnehmer des 19. EU-Russland-Gipfels in Samara hatten sich schon im Vorfeld auf Niedrigtemperaturen eingestellt. Mehr Unstimmig- als Gemeinsamkeiten beherrschen zurzeit die Beziehungen. Vor allem belastet das polnische Veto gegen den Verhandlungsauftakt eines neuen Partnerschaftsabkommens das Verhältnis. Russland weigert sich beharrlich, ein Fleischembargo gegen den Nachbarn aufzuheben.
Vor diesem Hintergrund war klar, dass es zu keinen vertraglichen Vereinbarungen kommen werde. Immerhin verabredete man die Einrichtung eines Frühwarnsystems für den Fall, dass bei Energielieferungen Schwierigkeiten auftreten sollten. EU-Ratspräsidentin Merkel ließ sich nicht beirren und folgte der noch aus Kalten-Kriegs-Zeiten bewährten Maxime, es sei immer „besser, miteinander als übereinander zu reden“.
Das Motto setzte Gastgeber Wladimir Putin gekonnt um und bescherte den Europäern einen Spannungsgipfel in entspannter Atmosphäre. Sicher steuerte der Kremlchef ein extra bestelltes Gipfelboot am ersten Abend durch die Wolgaklippen von Wolschski Utes, was übersetzt Klippe bedeutet.
Ungemütlicher wurde es auf der abschließenden Pressekonferenz. Merkel zeigte sich „besorgt“, dass einige Oppositionsführer gehindert worden waren, zu einer Demonstration nach Samara zu reisen. Ex- Schachweltmeister und Kopf der Bewegung „Anderes Russland“ Garri Kasparow, Menschenrechtler und einige Journalisten, unter ihnen auch Ausländer, waren von Sicherheitskräften unter fadenscheinigen Vorgaben in Moskau stundenlang in Gewahrsam genommen worden. Auch in Samara selbst setzten Ordnungskräfte Regimekritiker präventiv fest.
Merkel sagte, sie habe „jedes Verständnis“, dass man Demonstranten festnehmen müsse, wenn sie Gewalt anwendeten. „Wenn jemand nichts gemacht hat und nur auf dem Weg zu einer Demonstration ist, ist das aus meiner Sicht eine andere Sache“.
Putin konterte umgehend: „Solche Maßnahmen werden auch in anderen Ländern angewendet“, sagte er und verglich das Vorgehen der russischen Polizei mit der Großrazzia gegen G-8-Gegner in der vergangenen Woche in Deutschland. Kritik mit vermeintlich vergleichbaren Vergehen des Gegenübers vom Tisch zu fegen, gehört zum Standardrepertoire des Kreml.
Merkel nahm den Vergleich nicht hin. Gewalttätige Demonstranten müsse man festnehmen, sagte sie. „Demonstrationsrecht heißt nicht, dass man das Gewaltmonopol eines Staates in Frage stellt“, fügte sie hinzu. Tatsächlich muss die Ratspräsidentin die Polizeiübergriffe als persönlichen Affront auffassen. Sie hatte zuvor bei Putin interveniert, die verbotene Demonstration doch zuzulassen. Sie wurde auch erlaubt, aber auf inzwischen typische Art hintertrieben.
Das lässt Zweifel an Putins vorangegangenen Äußerungen aufkommen, der das Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten bei früheren Protesten als „nicht immer gerechtfertigt“ bezeichnete und hinzufügte: „Wir brauchen keine Angst vor politischen Randgruppen zu haben.“ Das trifft zwar zu, entspricht aber nicht den martialischen Maßnahmen gegen leisesten Protest.
In Samara versammelten sich am Freitagnachmittag rund 500 Anti-Putin-Demonstranten. Kurz vor Beginn des „Marsches der Andersdenkenden“ will die Polizei drei Jugendliche mit mehreren Kilogramm Eisenkrampen festgenommen haben. Die Veranstalter vermuten, es handele sich um eine Provokation seitens der Sicherheitskräfte.
Trotz erheblicher Meinungsverschiedenheiten hob Merkel abschließend die „ganz große Übereinstimmung zu strategischer Zusammenarbeit“ hervor. Worin diese jedoch bestehen könne, ließ die Kanzlerin offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen