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cannes cannesAm 3. Tag schuf Gott das Asien-Kino

Wo essen die Stars? Wie schaffen es die Regisseure aus Hongkong immer wieder, aufregende Actionthriller zu drehen?

Beim Abendessen im asiatischen Schnellrestaurant tritt ein junger Mann an unseren Tisch heran; er trägt den für die Galavorstellungen obligatorischen Smoking und eine Fliege und fragt in holprigem Englisch einen aus unserer Runde, einen jungen Kritiker, ob er nicht ein Star sei. „Ich bin mir ganz sicher, ich habe Sie schon gesehen.“ – „Wo denn?“ Er überlegt, kann sich aber nicht erinnern, entschuldigt sich, dreht uns den Rücken zu, geht weg und kommt doch noch einmal an den Tisch zurück, um nachzuhaken: „Wirklich nicht? Sie sehen so bekannt aus.“ Wir überlegen nun unsererseits, welchem Star der Kollege so ähnlich sieht, dass er mit ihm verwechselt wird. Und sind uns sicher: Ohne jeden Zweifel zöge es dieser Star vor, inkognito im Schnellrestaurant Hühnchen zu essen statt Austern und Meeresschnecken bei Astoux et Bruns. Nicht zuletzt deshalb, weil sich das karamellisierte Hühnchen und das Chop-Suey-Gemüse so farbenprächtig in der Glasscheibe der Vitrine spiegeln, als wäre Wong Kar-Wais in den Farben von Bars und Restaurants schwelgender Film „My Blueberry Nights“ noch immer nicht zu Ende.

Drei Kollegen Wongs Kar-Wais aus Hongkong sind mit einem deutlich weniger opulenten Film an die Croisette gekommen – und sorgen damit für großes Vergnügen. Tsui Lark, Ringo Tam und Johnnie To haben zu dritt „Triangle“ gedreht, einen Actionthriller, der als Mitternachtsvorführung außer Konkurrenz gezeigt wird. Jeder der drei Filmemacher zeichnet für ein Drittel verantwortlich – Tsui Hark für das erste, Ringo Lam für das zweite, Johnnie To für das dritte. Dementsprechend uneinheitlich gibt sich „Triangle“, was kein Nachteil sein muss.

Die Exposition ist undurchdringlich. Sie entzieht sich den Gesetzen der filmischen Kontinuität, da Tsui Hark mit jedem Schnitt einen neuen Schauplatz, eine neue Figur oder ein disparates Detail einführt. Noch weiß man nicht, wie die Figuren zueinander stehen und worin ihr Plan besteht. Und kaum hat man sich an eine Szene gewöhnt, kaum hat sich das Auge einigermaßen orientiert, setzt der Schnitt eine Zäsur, auf die etwas Unbekanntes folgt – oft eine Detailaufnahme, die zu entschlüsseln mehr Zeit erfordert, als die Montage lässt. Im zweiten Teil geht es übersichtlicher zu, Ringo Lam rückt eine Betrugsgeschichte um einen der Gangster, dessen Frau und deren Liebhaber, einen zwielichtigen Cop, in den Mittelpunkt und variiert damit das titelgebende Dreieck, das als Motiv auf vielen Ebenen des Filmes wiederkehrt: bei den drei Gangstern, in der Rivalität von Polizisten, Gangstern und Triade, in Einstellungen, die immer neue Wege finden, drei Figuren im Bild zu positionieren.

Zu großer Form läuft „Triangle“ auf, wenn Johnnie To die Geschäfte übernimmt. Sein Finale in nächtlicher Sumpflandschaft zieht alle Register, die fantasievolles Actionkino aus Hongkong kennt: Da gibt es eine Verwechslungskomödie um weiße Plastikbeutel, ein durch den Sumpf gleitendes Krokodil, kunstvoll eingesetzte Stromausfälle, synchrone Bewegungen, mit denen Waffen gezückt oder im Hosenbund versteckt werden, schließlich eine Schießerei, die bisweilen ans Absurde grenzt, zugleich aber auf beeindruckende Weise mit weißem Rauch, hohem, glänzenden Sumpfgras und auf- und abtauchenden Akteuren spielt.

Der taiwanesische Regisseur Hou Hsiao Hsien reiste von Taipeh nach Paris, um dort mit Juliette Binoche in der Hauptrolle „Le voyage du ballon rouge“ („Die Reise des roten Ballons“) zu drehen. „Le voyage du ballon rouge“ eröffnete am Donnerstagabend feierlich die Nebenreihe Un certain regard; der Film ist eine schöne, leichte Reflexion über Alltag und Kunst, Fantasie und Mühsal. Binoche spielt die Puppenspielerin Suzanne, deren Privatleben aus den Fugen geraten ist; an ihrer Seite agiert das neue Kindermädchen, Song aus Peking (Song Fang), das in der französischen Hauptstadt Film studiert. „Le voyage du ballon rouge“ ist voller Referenzen an andere Filme, an Malerei und auch an ein chinesisches Schauspiel aus der Zeit der Yuan-Dynastie, in dem eine junge Frau auf den Boden des Meeres verbannt wird. Ihr Geliebter will, da er sich mit dem Verlust nicht abgibt, das Meer zum Kochen bringen, damit es verdampft. Der Abspann des Filmes zeigt: Er schafft es.

CRISTINA NORD

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