: Kurt Beck zieht nach Berlin
Der Umbau der SPD-Spitze symbolisiert die verspätete Ankunft des Pfälzers in der Hauptstadt: Er hat jetzt eine Hausmacht
AUS BERLIN JENS KÖNIG
Ja klar, wenn nichts mehr geht in der Politik, wenn die eigene Partei ihr Selbstvertrauen verliert, wenn man als ihr Vorsitzender die Seuche hat, wenn keiner einen kennt und keiner einen liebt, dann schreit man am besten ganz laut, dass jetzt alles besser werde, einfach so, die Botschaft wird schon irgendwie ankommen. Also sitzt Kurt Beck an diesem Montagnachmittag außerplanmäßig in der Bundespressekonferenz in Berlin und verkündet auf der Veranstaltung mit dem zu schönen Titel „Aktuelle Entwicklungen in der SPD“, dass jetzt alles besser werde. Neben dem SPD-Vorsitzenden sitzen die drei zukünftigen stellvertretenden Parteichefs: Andrea Nahles, Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück. Sie sind der Grund für Becks Hoffnung auf einen Neuanfang. Im O-Ton klingt das bei ihm so: „Der SPD-Vorstand hat heute beschlossen, die Parteisatzung so zu ändern, dass wir statt fünf nur noch drei stellvertretende Parteivorsitzende haben werden. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Sozialdemokratie sich aufstellt für ihren Parteitag im Oktober und eine entschlossene Haltung hat zu regieren, auch weiter regieren zu wollen.“
So viel Aufbruch in zwei Sätzen war nie.
Dabei ist der Umbau der Parteispitze Becks erste Meisterleistung als SPD-Chef überhaupt. Er hat in den zurückliegenden Wochen 40 Einzelgespräche geführt und danach etwas durchgesetzt, was in einer großen Volkspartei fast undenkbar schien: den Abschied vom Denken in Proporz und Quoten. Die neue, verkleinerte Parteispitze folgt nicht mehr den Verteilungsprinzipien links-rechts, Mann-Frau, ostdeutsch-westdeutsch, großer und kleiner Landesverband. Sie orientiert sich zuallererst an Kompetenz und Schlagkraft.
Und fast nebenbei schafft sich Beck damit eine Hausmacht in der eigenen Partei. Sie symbolisiert seine verspätete Ankunft in der Hauptstadt. 2006, als der rheinland-pfälzische Ministerpräsident SPD-Chef wurde, übernahm er von seinem Vorgänger Matthias Platzeck dessen Führungsriege und dessen Apparat im Willy-Brandt-Haus. Beck versuchte, die Partei von seiner Staatskanzlei in Mainz aus zu führen. Ihm fehlte in Berlin ein Team, wie er es in Rheinland-Pfalz besitzt und das ihn dort stark macht: kompetent, loyal, verschwiegen. Das war einer der wesentlichen Gründe für sein schweres erstes Jahr.
Das hat Beck jetzt in einem ersten Zug an der SPD-Spitze geändert. Ob weitere Umbesetzungen im Parteiapparat folgen werden, bleibt offen. Beck hat ohnehin schon einige über die Klinge springen lassen. Mit Jens Bullerjahn ist der letzte Ostdeutsche aus der engeren Parteiführung verdrängt worden; Beck will als Entschädigung das Forum Ost der SPD personell und finanziell aufwerten. Mit Ute Vogt, Elke Ferner und Bärbel Dieckmann wurden gleich drei Frauen als Parteivize abgelöst. Für Becks Integrationskraft spricht, dass sich weder im einen noch im anderen Fall namhafte Kritiker zu Wort melden. Zu schwach war wohl auch die Arbeit der bisherigen Stellvertreter. Die gestrige Entscheidung fiel sowohl im Präsidium als auch im Vorstand ohne eine einzige Gegenstimme.
Der einzige Parteivize, der überlebt hat, ist Peer Steinbrück. Sein Verbleiben im Amt ist denn auch die unspektakulärste Entscheidung. Steinbrück ist ein starker Finanzminister, seine Ablösung hätte die Position der SPD im Merkel-Kabinett nur unnötig geschwächt. Zumal Steinbrück in der SPD nur geachtet ist, geliebt wird der kühle Zuchtmeister nicht. Er kann Beck also nicht gefährlich werden.
Ungewöhnlich hingegen sind die anderen beiden Personalentscheidungen. Mit Außenminister Steinmeier holt sich Beck nicht nur einen der populärsten deutschen Politiker an seine Seite, er verhilft ihm auch zu dessen erstem Parteiamt überhaupt. Steinmeier, als ehemaliger Kanzleramtschef Gerhard Schröders wichtigste Stütze, wird bis heute nicht den Ruf los, nur ein glänzender Beamter zu sein. So nannte er seine Nominierung gestern denn auch „keine Selbstverständlichkeit“. Er bezeichnete sie als „mutige Entscheidung“. Auch deshalb, weil Steinmeier in der ganzen Verzweiflung der SPD immer mal wieder als Kanzlerkandidat für 2009 und damit Becks größter Rivale gehandelt wird?
Mit Andrea Nahles steigt eines der letzten großen Talente der SPD in die Führung auf. Die Linke kandidierte 2005 bereits als Generalsekretärin, woraufhin Franz Müntefering als SPD-Chef zurücktrat. Nahles bekam den Titel „Königsmörderin“ verliehen. Die Partei verzieh ihr schnell, sie wusste, dass die junge Frau an Münteferings beleidigtem Rückzug nicht wirklich schuld war. Zu groß sind außerdem ihre Fähigkeiten, zu ausgebaut ihr parteiinternes Netzwerk. Beck vertraut ihr, der Pfälzer kennt die Rheinländerin gut, sie kommen aus dem selben Landesverband.
Was auch immer dem SPD-Chef an diesem Tag gelungen ist – verkaufen kann er es nicht. Auf die Frage, warum er sich mit der Linkspartei eigentlich so schwer tue und den Namen Lafontaine nicht einmal in den Mund nehme, antwortet er: „Ich weiß nicht, warum ich jetzt ständig mit irgendwelchen Funktionsträgern im Mund herumgehen müsste.“ Im Gegensatz zu Mainz wirkt Beck in Berlin immer noch so, als habe ihn jemand falsch gepolt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen