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Staubmäntel in den Alpen – spiel mir das Lied vom Tal

CRIME SCENE Blutig sollst du Rache nehmen: In „Das finstere Tal“ kreuzt Thomas Willmann den Italowestern mit dem Heimatmelodram

Für eine eventuelle Verfilmung wäre Clint Eastwood natürlich inzwischen zu alt, schade

Was der Heimatschriftsteller Ludwig Ganghofer und der Filmregisseur Sergio Leone wohl miteinander beredet hätten, hätten sie sich in dieser Welt jemals getroffen, das weiß man natürlich nicht. Hätten sie aber jemals zusammen ein Buch geschrieben, so kann man sich vorstellen, dass es dieses hätte sein können.

Der Journalist Thomas Willmann, der mit „Das finstere Tal“ sein Belletristik-Debüt gibt, nennt freimütig die Ganghofer-Leone-Achse als Quelle der Inspiration. Diese Interpretationshilfe hätte nicht einmal notgetan, da doch sein Held schon derart auffällig mit Cowboystiefeln und knöchellangem Staubmantel in den bayerischen Alpen herumsteht. Für eine eventuelle Verfilmung wäre Clint Eastwood natürlich zu alt, schade. Doch umgekehrt lässt sich an diesem Willmann-Werk sehen, wie natürlich filmische Ikonografie mitunter in die Literatur hineinwachsen kann.

Nebenbei kann der Mann schreiben. Nie empfindet man die dezente Antiquiertheit von Willmanns gesuchter Ausdrucksweise als gekünstelt – wenngleich sie im direkten Vergleich mit dem seligen Ganghofer möglicherweise als ziemlich unauthentisch durchschaut werden müsste. Aber derlei stilistische Detailfragen können uns so was von egal sein, während wir mitten in der Lektüre einer spannenden Story stecken. Und „Das finstere Tal“ platzt vor – weil ziemlich lange unterdrückter – Spannung.

Die Ausgangssituation gibt sich klassisch. Ein einsamer Reisender (Trachtenanzug, spitze Stiefel, Staubmantel) kommt in ein abseits gelegenes Hochtal und wird feindselig empfangen von der dortigen Bevölkerung. Dennoch darf der Eindringling – ein Künstler namens Greider, der, wie er sagt, um des Malens willen ins Tal gekommen sei – bleiben und bekommt Quartier zugewiesen bei einer Witwe mit erwachsener Tochter.

Dass der Fremde mehr ist als ein harmloser Kunstmaler, ahnen wir natürlich von Anfang an, werden wir doch häppchenweise mit Andeutungen darüber gefüttert, dass dieser Greider ein paar Dinge über das Tal weiß, von denen bisher noch nicht die Rede war. Wir merken auch, dass es ein Geheimnis gibt um den alten Großbauern Brenner, der nach feudaler Manier über die Menschen im Tal befiehlt, jedoch als unsichtbare graue Eminenz seinen Hof nie verlässt, während seine Söhne in Dingen der Machtausübung im Dorf unterwegs sind.

Und spätestens wenn wir der Szene beiwohnen, in der Greider sein Gewehr aus dem Versteck holt, wissen wir, dass das Warten bald ein Ende haben wird.

Es ist die Hochzeit der jungen Luzi, der Tochter von Greiders Zimmerwirtin, die den vorläufigen Endpunkt des langen Spannungsbogens markiert. Bis aber viele, viele Menschen in ihrem Blute liegen werden, vergeht dann noch ein Weilchen, denn diesen Teil kostet Willmann, ganz in Sergio-Leone-Manier, weidlich aus.

Hier zeigt sich leider auch ein grundlegender Unterschied zwischen Literatur und Film. Denn während eine endlos lange Schießerei auf der Leinwand irre spannend und von irritierendem ästhetischem Reiz sein kann, ist die Beschreibung einer endlos langen Schießerei in Worten nicht annähernd so faszinierend. Jedenfalls hier ist es nicht so. Und so säuft der großartige Spannungsbogen, den der Autor zuvor aufgebaut hatte, zu guter Letzt noch in einem Zuviel an vertextetem Theaterblut ab. Aber: Schwamm drüber! Blutige Rache hat einfach immer etwas herrlich Befriedigendes. KATHARINA GRANZIN

Thomas Willmann: „Das finstere Tal“. Liebeskind, München 2010. 314 Seiten, 19,80 Euro

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