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Wo sind die 250 Millionen Platten hin?

Das kulturelle Gedächtnis nimmt ab: Am Dienstag ist der Schauspieler und Sänger Frankie Laine gestorben

Tief in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch lief die Nachricht vom Tod des 93-jährigen Schauspielers und Sängers Frankie Laine über die Ticker und traf die Besatzung des deutschen Kulturbetriebs so unerwartet wie ein Torpedo mittschiffs: Wer zum Teufel war Frankie Laine? Muss man den Mann kennen? Wo er doch weltweit mehr als 250 Millionen Platten verkauft hat?

Es folgte also ein leicht schuldbewusstes Kramen im eigenen Gedächtnis, ohne Ergebnis. Das enzyklopädische Wissen kenntnisreicher Fachleute wurde angezapft, vergeblich. Nur zäh und widerstrebend lichtete sich allmählich das Dunkel um Frankie Laine. „Frankie Laine, Frankie Laine, den kenne ich“, grübelte auf Anfrage eine Kollegin, um gleich darauf einzuschränken: „Aber nur so vom Namen her“, was man natürlich immer behaupten kann, wenn man sich keine Blöße geben will. Und genau das scheint dieser Frankie Laine zu sein: eine Blöße, ein seltsam blinder Fleck im kollektiven popkulturellen Gedächtnis, dem nicht einmal per Google auf die Sprünge zu helfen war.

Als Sackgasse entpuppte sich denn auch der Hinweis, Laine habe mit einem Song namens „Hey Joe“ einen Hit gehabt – was zwar zutrifft, mit dem von Jimi Hendrix zum Klassiker erhobenen Song gleichen Namens aber nichts zu tun hat. Ferner konnte auf die Schnelle ermittelt werden, dass Laine 1953 in Großbritannien einen noch heute gültigen Chartsrekord aufgestellt hat, als er mit drei Hits hintereinander 27 Wochen in Folge den ersten Platz der Hitparade behaupten konnte. 27 Wochen!

Entweder sind alle, die vor einem halben Jahrhundert noch „I Believe“ oder „Answer Me“ vor sich hinpfeifen konnten, inzwischen so tot wie Frankie Laine selbst, dessen Ruhm den „test of time“ nicht bestanden hat – oder wir Nachgeborenen sind allesamt Ignoranten. Wahrscheinlich trifft beides zu. FRA

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