: Im Wendekreis des Rollstuhls
BARRIEREFREIHEIT Wohnungen alters- und behindertengerecht umbauen: ein Zukunftsthema, das lange relativ wenig beachtet wurde. Allmählich aber entdecken die Hersteller – nicht nur von Badewannen und Fenstergriffen – diesen neuen Markt
VON SEBASTIAN BRONST
Gute Gründe, sich in einer alternden Gesellschaft frühzeitig mit barrierefreiem Wohnen zu befassen, gibt es viele. Aber wie lassen sich Häuser und Wohnungen möglichst so gestalten, dass sie von Menschen mit eingeschränkten Bewegungsabläufen und anderen Gebrechen problemlos genutzt werden können?
Viele Faktoren
Ob eine Immobilie barrierefrei ist, hängt dabei von vielen Einzelheiten ab – auch von solchen, an die Menschen, die sich zum ersten Mal mit dem Thema beschäftigen, womöglich nicht gleich denken. Dass die Wohnung ebenerdig oder per Fahrstuhl erreichbar sein muss, ist wohl geläufig. Aber wie sieht es mit der Bedienbarkeit von Fenstergriffen aus? Wie viel Platz braucht ein Rollator zum Wenden? Und ist in der jeweiligen Wohnung die Barrierefreiheit zu Ende gedacht bis zum schwellenfreien Balkon?
„Die Erreichbarkeit ist ein erster wichtiger Schritt“, sagt die Geschäftsführerin von „Barriefrei Leben“, Karin Dieckmann. Der Hamburger Verein berät zu allen Fragen rund um das Thema. „Damit ist die Wohnung aber noch längst nicht barrierefrei.“ Das gehe schon damit los, dass in einem Haus zwar Wohnungen per Rollstuhl erreichbar seien – aber was ist mit dem Weg zu den Mülltonnen oder dem Parkplatz in der Tiefgarage?
In den Wohnungen selbst sind Dieckmann zufolge die Platzverhältnisse das Entscheidende. So benötige ein Rollator zum Manövrieren zwingend eine Grundfläche von 1,20 Meter mal 1,20 Metern, bei einem Rollstuhl seien es sogar 1,50 Meter mal 1,50 Meter. Ohne entsprechenden Bewegungsspielraum sind Badezimmer oder Küche dann ganz schnell nicht mehr nutzbar. Auch schmale Türen können ein Problem sein, das sich zumindest in Bestandswohnungen nur mit viel Aufwand korrigieren lässt. Bei Neubauten können Bauherren zwar vorausschauend planen, aber in einer Mieterstadt wie Hamburg mit einem gewachsenen Bestand an unterschiedlich alten Wohnungen ist das anders. „Badezimmertüren“, sagt Dieckmann, „sind in vielen Fällen zu eng.“
In seinem Beratungszentrum in Hamburg-Barmbek präsentiert „Barriefrei Leben“ Hilfsmittel und Wohnraum-Lösungen. Eine Ausstellung zeigt etwa Beispiele für die Umrüstung von Badezimmern. So gebe es heute Duschhalterungen, die derart robust seien, dass sie zusätzliche Haltegriffe überflüssig machten, sagt Dieckmann. Bodengleiche Duschen, höhenverstellbare Waschbecken, erhöhte Toiletten oder Badewannen mit Einstiegstür hätten schon viele Hersteller im Programm – auch in ansprechenden Designs. Das senke Hemmschwellen und könne den vorausschauenden Einbau fördern. „Es tut sich viel“, sagt die Expertin.
Problembereich Tür
Technische Lösungen gibt es auch für den Problembereich Tür: Nicht nur zu enge Durchgänge können bei alten Menschen, Behinderten oder zu Pflegenden heikel sein. Für Herausforderungen sorgen auch Türen, die in die falsche Richtung aufgehen und im Notfall die Rettung einer dahinter gestürzten Person erschweren oder unmöglich machen. Badezimmertüren etwa sollten aus diesem Grund immer nach außen öffnen. Ist dies aus Platzgründen schwer zu realisieren, können raumsparende Türen helfen: Sie haben ein klappbares Türblatt, das reduziert den sogenannten Schwenkbereich.
Mitunter bedeutet Barrierefreiheit aber auch Improvisation. So lässt sich in der Ausstellung von „Barrierefrei Leben“ auch eine Lösung für das Fenstergriff-Problem finden: Fensteröffner sind für viele bewegungseingeschränkte Menschen zu hoch angebracht, können aber auch nicht einfach tiefer montiert werden. Dann nämlich ließen sich die mitunter schweren Fenster aufgrund des ungünstigen Hebels nicht mehr bewegen. Der Ausweg: Es gibt eigens konstruierte Verlängerungen mit einem drehbaren Kopf, der sich auf die Fenstergriffe schieben lässt und eine erleichterte Bedienung ermöglicht. Eine andere Idee ist die über einen Seilzug absenkbare Gardinenstange: Sie macht das Hantieren auf Leitern überflüssig – ein Beitrag zur Prävention von Stürzen.
Der Staat schießt zu
Neben handfesten Anregungen bietet der Hamburger Verein auch Rat bei Fragen zur Finanzierung. Hilfe kann es je nach individueller Situation unter anderem von den Pflegekassen oder der gesetzlichen Unfallversicherung geben. Auch der Staat fördert Umbaumaßnahmen in Form von Darlehen. Die Hansestadt Hamburg zum Beispiel, sagt Expertin Dieckmann, habe ein tolles Förderprogramm.
Beratungszentrum von „Barriefrei Leben“: Richardstraße 45 (Richardhof), Hamburg. Ein Faltblatt zu Möglichkeiten der barrierefreien Umgestaltung lasst sich hier herunterladen: www.barrierefrei-leben.de/fileadmin/bilder/Info-Material/Flyer-Beratungszentrum_07-2013.pdf